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Jetzt Plus Minus

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Titel: Jetzt Plus Minus
Autoren: Robert Silverberg
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Wassers. Das Gebiet ist im Rahmen der Politik der ›kompensierenden Katastrophe‹, die von der Regierung zum Ende der abschließenden Umwälzungen vertreten wurde, bewußt überflutet worden. Obwohl wir in Träumen kommen, wagen wir deshalb nicht, diese Zone ungeschützt aufzusuchen, und wir verwenden Schwimmroboter mit hirngekoppelten Fernkameras. Ohne unseren Schlaf zu unterbrechen, legen wir die Ausrüstung an, kichern verlegen, während wir einander mit den Gurten und Schnallen helfen. Die Roboter schreiten in die grünen, schimmernden Tiefen und hinterlassen Spuren glitzernder Luftbläschen. Wir drehen und kippen unsere Köpfe, und unsere Kameras gehorchen und übertragen, was sie sehen, direkt auf unsere Netzhaut. Das ist ein Zauberreich hier. Alles schläft in einem einzigen Grab, und doch pulsiert und birst hier alles von schrecklichem Leben. Kleine Jungen spielen begeistert Murmeln auf der Straße. Diebe gleiten auf schnellen Füßen an dicken, ruhigen Ladenbesitzern vorbei. Eine syphilitische Hure zeigt ihrem potentiellen Freier die Schenkel. Ein riesiger blauer Bildschirm auf einem kolossalen glatthäutigen Gebäude bringt das Gesicht des Präsidenten, dickwangig, ernsthaft, energisch. Seine Augen sind außergewöhnlich schmal, fast Schlitze. Er spricht, aber seine Worte sind vage und formlos, ohne unterscheidbare Silbenintervalle. Wir nehmen den Wasserdruck nicht wahr. Papierfetzen flattern an uns vorbei, wie vom Wind getrieben. Kleine Mädchen tanzen im Kreis; ihre mageren nackten Beine stampfen wie Kolben. Alexandras Roboter berührt kurz mit seiner Kupferhand die meine, eine Geste der Freude, der Liebe. Wir wechseln uns am Steuer eines Automobils ab, treten auf die Pedale, betätigen die Hebel. Ich bin erfüllt von einem intensiven Gefühl der Wirklichkeit der prädynastischen Zeit, ich spüre ihre bedrückende Nähe, die Gefahr ihrer Rückkehr. Wer sagt, die Vergangenheit sei tot und besiegelt? Alles erscheint mindestens zweimal, vielleicht noch öfter, und die zweiten Erscheinungen sind immer grotesker, tödlicher und komischer. Die Zerstörung ist ewig. Das Leid ist zyklisch. Der Tod stirbt nie. Wir gehen über das ertrunkene Gesicht der ermordeten Erde und werden von dem Bewußtsein gequält, daß Vergangenheit und Zukunft miteinander verschlungen sind wie eine wahnsinnige Schlange. Das Leid der Pharaonen wird unser Leid sein. Lauscht der Stimme Ägyptens.
    Die Hochgeborenen sind voller Klage, aber die Armen jubeln. Jede Stadt spricht: ›Laßt uns die Mächtigen vertreiben‹ … Die herrliche Richterhalle ist ihrer Dokumente beraubt… Die öffentlichen Ämter stehen offen, ihre Unterlagen sind entwendet. Die Sklaven sind zu Herren der Sklaven geworden… Seht, sie, die keine Kleider hatten, tragen jetzt Lumpen… Er, der nichts besaß, ist nun reich, und der hohe Beamte muß den Parvenü hofieren… Im ganzen Land herrscht Elend: In dieser Zeit gibt es keine weißen Kleider… Der Nil tritt über die Ufer, aber niemand hat das Herz, zupflügen… Das Getreide ist überall verdorben… Die Toten werden in den Fluß geworfen… Alle sagen: ›Es geht nicht weiter‹… Das Lachen ist tot. Leid geht durch das Land. Ein Mensch von Charakter muß gehen, in Trauer darüber… Fremde sind überall zum Volk geworden. Es gibt keinen Menschen von gestern.
    Alexandra, Jerome und ich tanzen in den prädynastischen Straßen Walzer. Wir singen die Hymne auf den Dynasten. Jerome kopuliert mit Alexandra. Wir nehmen Bücher, Schallplatten, Küchengeräte und Briefmarken und bezahlen nicht, denn wir haben kein Geld aus dieser Epoche. Niemand protestiert. Wir starren die plumpe Form eines Flugzeugs an, die über den Gebäuden schwebt. Wir schöpfen mit hohlen Händen Wasser aus einem öffentlichen Brunnen. Nackt zeige ich mich der verschleierten grünen Sonne. Ich kopuliere mit Jerome. Wir glotzen in die starren, toten Gesichter der prädynastischen Menschen vor dem Grandhotel. Wir flüstern mit sanften Stimmen auf sie ein, versuchen sie vor der Gefahr zu warnen. Sand weht über den Gehsteig. Alexandra küßt zärtlich die faltige Wange eines alten Mannes, und er flieht vor ihrer Wärme. Juwelen, schöner als alles, was unsere Museen besitzen, glitzern in allen Fenstern. Der große Reichtum dieser Epoche erfüllt uns mit Staunen. Wo sind diese Menschen vom Weg abgekommen? Wie haben sie ihn verloren? Was ist die Quelle ihrer Qual? Sagt es uns, flehen wir. Erklärt euch uns. Wir sind Historiker aus einer
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