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Jesus der Kapitalist

Jesus der Kapitalist

Titel: Jesus der Kapitalist
Autoren: Robert Groezinger
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möglicherweise zwingend aus den biblischen Lehren ergibt, eine viel tiefere Dimension des Denkens über diese Partnerschaft. Zwar ist Gottes Reich – so lesen wir es im Johannesevangelium – nicht von dieser Welt. Und somit ist äußerste Zurückhaltung geboten, wenn es um Reflexionen über unsere diesseitige Welt vor dem Hintergrund der Bibel geht, jedenfalls was die politischen und sozio-ökonomischen Verhältnisse betrifft. Keinesfalls darf man politischen Ideologien eine religiöse Rechtfertigung unterlegen. Aber persönliche Freiheit und die friedliche und freiwillige Kooperationsordnung des freien Marktes sind keine Ideologien. Die intellektuelle Redlichkeit und die Paradigmen der Wissenschaftlichkeit erlauben es deshalb durchaus, aufzuzeigen, dass die Heilige Schrift niemals legitimierende Argumente für den Sozialismus oder irgendeinen anderen Totalitarismus liefern kann, aber auch nirgendwo im Widerspruch zur Ideenwelt der freien Marktwirtschaft steht, ja dass – ganz im Gegenteil – die biblischen Hauptgebote und Gleichnisse fast allesamt (mit Ausnahme der Gottesliebe und der Gottesfurcht) mit den Grundaxiomen des (echten, unverfälschten, staatsfreien!) Kapitalismus übereinstimmen.
    Romano Guardini, der herausragende katholische Religionsphilosoph des 20. Jahrhunderts, hat in seiner »Ethik« betont, dass der dem Christentum fremd gewordene moderne Mensch gar nicht mehr wisse, wie sehr unsere sittlichen Begriffe und Vorstellungen im Erbgang des Christentums stehen: Die Unantastbarkeit der Person und ihres redlich erworbenen Eigentums, die Freiheit und Ehre jedes Menschen, die Gleichheit vor dem Recht, die Wahrheit des Wortes und die Verlässlichkeit des Vertrages. Auf Seite der Ökonomen hat der Nobelpreisträger James M. Buchanan von der »Komplementarität« von christlichem Glauben und klassischem Liberalismus gesprochen. In seiner Rede zur Adam-Smith-Preisverleihung (2005) führte er aus: »Die Leute haben zunehmend Angst vor der Freiheit. Sie wollen vom Staat abhängig sein. So wie die Dominanz der Kirche dahinschwand, so wurde der individuellen Freiheit allmählich abgeschworen durch das Abdriften der Autorität von Gott zum Staat. Der Staat hat Gott als Elternersatz abgelöst. Wenn sich die Steuerillusion des modernen Staates enthüllen wird, wird dieser sozialdemokratische Gott stürzen. Der klassische Liberalismus als Idee und institutionelle Struktur erhebt keinen Anspruch, als Gott aufzutreten. Der christliche Glaube mit seiner Betonung der Selbstverantwortung und Unabhängigkeit ist zum klassischen Liberalismus komplementär. In dem Maße wie Gott zurückkehrt, wird die Abhängigkeit des individuellen Bürgers vom Staat schwinden; jedenfalls so lange, wie religiöser Eifer nicht zu politischem Druck auf jene führt, denen es am entsprechenden Glauben mangelt. Die Trennung von Kirche und Staat dürfte derartigen Eifer in Schach halten.« (aus: »Restoring the Spirit of Classical Liberalism«.)
    Fast alle politischen Ideen und Systeme sind Diesseits-Religionen, von Eric Voegelin trefflich als »Politische Religionen« bezeichnet. Solange man an die generelle Sündhaftigkeit der Menschen im Sinne der christlichen Religion glaubte, konnten sich die Priester und religiösen Herrscher auf die Bestrafung der (oft nur vermeintlich) größten »Sünder« beschränken. Das hat im Verlauf der Geschichte, die Religionskriege eingerechnet, einige Millionen Opfer gefordert. Aber so richtig ging die Folterei und Metzelei erst los, als die alte Religion an Schwindsucht zu leiden und die neuen Diesseits-Religionen sich zu erheben begannen. Jetzt war ein »Sünder« nicht mehr derjenige, der tatsächlich oder angeblich gegen die Gottesgebote allzu schwer verstieß, sondern ein jeder, der nicht in die Diesseitsreligion hineinpasste, jeder, der dem verkündeten irdischen Paradies entgegenstand, das zu seiner Verwirklichung des »neuen Menschen« bedurfte. Und somit waren alle Menschen schuldig, außer den erleuchteten Führern. Jetzt glaubte man, einen Großteil der Menschheit erschlagen, erschießen, vergasen oder wenigstens in Arbeitslagern und Gulags »umerziehen« zu müssen. Auf diese Weise hat man einige Hundert Millionen Menschen umgebracht. Solange man glaubte, nur Gott könne irgendwann eine neue Erde und einen neuen Menschen erschaffen, hielt sich der Wahn in Grenzen. Als man aber begann, zu glauben, der Mensch könne kraft seiner Vernunft dieses Werk selber und sogar noch besser (und früher)
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