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Jerusalem

Titel: Jerusalem
Autoren: Hanns Kneifel
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war wirklich und wahrhaftig.«
 
    Die Soldaten und Pilger hatten sich über die Stadt verteilt und lebten in den Häusern der Muslime und Juden. Die Fürsten berieten darüber, wer Patriarch und wer König Jerusalems werden sollte.
    Adhemar von Le Puy war tot, und so fiel die Wahl für den Patriarchen schließlich auf Arnulf von Choques, den Kaplan Roberts von der Normandie. Die Wahl war freilich umstritten, denn Arnulf hatte sich viele zu Feinden gemacht, insbesondere unter den Provençalen, und man machte es ihm zum Vorwurf, dass er sich zum Wortführer der Zweifler an der Heiligen Lanze gemacht und Peter Bartholomäus in den Tod getrieben hatte.
    Die herausragenden Kandidaten für den Titel eines Königs von Jerusalem waren Raimund von Toulouse und Gottfried von Niederlothringen. Tancred wurde erst gar nicht in Betracht gezogen, da er als zu machthungrig, als eine bloßes minderes Abbild seines verschlagenen Onkels Bohemund galt. Robert von Flandern und Robert von der Normandie hatten bereits erklärt, dass sie wieder heimzukehren gedachten. Tatsächlich waren es Raimunds eigene Landsleute, die schließlich den Ausschlag gaben, dass die Wahl auf Gottfried fiel, in der Hoffnung, dann werde auch ihr Herr wieder nach Hause zurückfahren.
    Im Nachhinein hieß es auch, Raimund habe die Königswürde abgelehnt, weil er den Gedanken nicht ertragen könne, als König in einer Stadt zu regieren, deren wahrer und einziger König Jesus Christus selbst sei. Ob dies wahr war oder nur ein Gerücht, das sein Kaplan Raimund von Aguilers gestreut hatte, vermochte keiner zu sagen. Doch auch Gottfried von Bouillon lehnte die Würde und den Titel eines Königs von Jerusalem ab und erklärte, dass er sich nur als Advocatus Sancti Sepulchri, als Hüter und Verteidiger des Heiligen Grabes, sehe.
    Aber Raimund von Toulouse hielt immer noch den Davidsturm, den Iftikhar ihm übergeben hatte, und wollte daraus nicht weichen, und so gab es erneut Streit. Nach vielen zornigen Worten wurde die Festung Gottfried zugesprochen und Raimund ein Haus in der Nähe des Heiligen Grabes zugewiesen. Raimund stürmte aus der Stadt mit den Worten, er könne hier nicht in Schande weiter verweilen, und zog mit seinen Männern ins Jordantal. Dort badeten er und seine Schar und lagerten schließlich in Jericho.
    Gottfrieds selbstherrliches Verhalten hatte auch Robert von Flandern und Robert von der Normandie verstimmt. Tancred und sein Bruder Eustachius hatten die Stadt in Richtung Nablus verlassen, das sich den Christenrittern ergeben hatte und auf Schonung hoffte. Die Geistlichkeit war immer noch in Aufruhr über die Wahl Arnulfs als Patriarch. So endete die bewaffnete Pilgerfahrt in einem großen Streit der Geistlichen und Fürsten, als habe sich in Jerusalem nicht eine Hoffnung erfüllt, sondern ein Fluch, der seit Langem über diesem Unterfangen lastete.
 
    In der Nacht, als sie nebeneinanderlagen, im bernsteinfarbenen Licht einer großen, zierlich geschmiedeten Öllampe, und als sich die Luft im Innenhof ein wenig abgekühlt und mit dem Duft des Räucherwerks vermischt hatte, legte Chersala ihren Arm auf Rutgars Brust und sagte leise: »Deine Briefe, Liebster, und die Boten, die sie nach Cluny und Köln bringen sollen - glaubst du noch immer, dass sie nicht verlorengehen?«
    Er zögerte mit der Antwort, dann sagte er: »Ich bin keiner von den Fürsten, deren Nachrichten mehrere Male abgeschrieben werden, sodass wenigstens eine von ihnen den Empfänger erreicht. Ich habe auch keine Botenreiter, die sich abwechseln mit frischen Pferden und all das. Ob meine Briefe dort ankommen, wohin sie gebracht werden sollen, weiß ich nicht, auch wenn es die Klosterbrüder gewiss freuen würde.« Er richtete sich halb auf und fuhr fort: »Es ist auch nicht wichtig. Irgendjemand wird sie lesen, und ich vertraue darauf, dass die Wahrheit am Ende siegen wird.«
    Sie hatten sich geliebt, leise und zärtlich, im Schutz der Wachen, zwischen kostbaren Wandbehängen und auf duftenden Laken, die glatt waren wie Seide, auf einem breiten gemauerten Lager, auf dem ein halbes Dutzend weicher Teppiche lag; auch auf dem Boden waren drei Lagen wunderschöner Teppiche ausgebreitet. Auf Laken und zwischen Kissen, zwischen denen Muslime geschlafen hatten, die nicht mehr lebten.
    »Was meinst du, wird Berenger mit uns kommen?«, sagte Chersala schläfrig.
    Rutgar lauschte in die Nacht. Im Haus herrschte Stille, die üblen Gerüche der Stadt und der Brandgeruch waren durch Weihrauch und
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