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Jerry Cotton - 0579 - Warum musste Springfield sterben

Jerry Cotton - 0579 - Warum musste Springfield sterben

Titel: Jerry Cotton - 0579 - Warum musste Springfield sterben
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Rasch ging sie auf die nächsten Häuser zu. In Springfield gab es schon seit geraumer Zeit keinen richtigen Arzt mehr — ausgenommen Richy Callaghan, der allgemein nur Doc genannt wurde und als tüchtiger Heilpraktiker galt. Er wohnte in der Ortsmitte.
    Phyllis bog in die schnurgerade Main Street ein. Die Hauptstraße lag wie ausgestorben da. Die Holzhäuser mit den verblichenen Reklameschildern hätten jedem Hollywoodwestern als Kulisse dienen können. Phyllis eilte die Straße hinab. Mit jedem Schritt rührten ihre flachen Schuhe eine dünne Staubfahne auf.
    Phyllis stoppte vor Andys Saloon. Sie zögerte kurz, dann ging sie hinein. An zwei Tischen saßen je zwei Männer. Sie hatten ihre Köpfe auf die Arme gebettet. Ein Ventilator summte einschläfernd.
    Aber Phyllis wurde nicht müde. Im Gegenteil. Sie war hellwach. Sie spürte, daß ihr irgend etwas das Atmen erschwerte. Das hier war einfach nicht normal. Sie glaubte nicht daran, daß diese Männer schliefen. Auch Ernie Hopkins hatte nicht geschlafen.
    »Hallo!« rief sie und erschrak vor dem Klang ihrer eigenen Stimme.
    Keiner der Männer rührte sich vom Fleck. Phyllis ging um den Tresen herum in die angrenzende Küche. Dort fand sie den Wirt. Er lag vor dem Herd, das Gesicht dem stumpfen, brüchigen Linoleumboden zugekehrt, ein Bein angezogen, beide Arme weit von sich gespreizt.
    Phyllis begann zu zittern. Träumte sie? Zögernd beugte sie sich zu Andy Clyde hinab. Er war lange Zeit Sheriff von Springfield gewesen. Ein Rückenleiden hatte ihn dazu gezwungen, sich nicht mehr zur Wiederwahl zu stellen.
    Phyllis griff nach Andys Handgelenk. Es war steif wie ein Brett. Schwer atmend richtete sie sich auf. Der Tod hatte Einzug in Springfield gehalten, und zwar ebenso massiv wie rätselhaft.
    Phyllis verließ das Lokal. Auf der Main Street kochte die Mittagshitze. Das Office des neuen Sheriffs lag schräg gegenüber. Vor dem rotbraungestrichenen Holzhaus parkte ein dunkelblauer schmutzbespritzter Ford. Er hatte ein Rotlicht auf dem Dach, an seinen Türen waren Polizeiembleme.
    Phyllis bewegte sich wie in Trance. Die Stille zerrte an ihren Nerven. Plötzlich schrak sie zusammen, als sie ein fremdes beunruhigendes Geräusch über sich hörte. Sie hob den Kopf und blickte nach oben. Vier riesige Vögel flogen dicht über den Ort hinweg. Phyllis konnte sich nicht erinnern, jemals solche Vögel gesehen zu haben. Sie sahen wie Geier aus und hatten lange, hagere Hälse mit einer rotschwarzen Federkrause.
    Aasgeier, dachte Phyllis und begann zu rennen.
    »Sheriff!« schrie sie. »Sheriff!« Sie fiel fast zu Boden, als sie die Holzstufen zur Veranda des Officegebäudes zu überhastet nahm. Sie stieß die mit Fliegengaze bespannte Tür zurück und stoppte, als sie von der unerwarteten Kühle in dem dämmrigen Raum umfangen wurde. Die Klimaanlage rauschte leise, monoton und irgendwie beruhigend. Phyllis stieß die Luft aus. Sie war dankbar für das kleinste Geräusch. Es bewies, daß die Stadt noch nicht völlig tot war.
    »Sheriff!« rief sie zum drittenmal, diesmal weniger laut und irgendwie erschöpft.
    Hinter dem alten, ramponiert aussehenden Schreibtisch von Fred Shriver führte eine Tür in den kleinen gemauerten Gefängnisanbau. Die Tür stand halb offen.
    Phyllis verließ plötzlich der Mut. Sie ahnte, was sie erwartete, wenn sie die Schwelle zum Anbau überschritt. Sie fühlte, daß sie ganz einfach nicht die Kraft haben würde, den Anblick weiterer Toten zu ertragen. Trotzdem bewegte sie sich vorwärts, ganz mechanisch, fast gegen ihren Willen.
    Fred Shriver lag in einer der Zellen auf einer Pritsche. Er hatte die Arme unter dem Kopf verschränkt und wirkte ebenso friedlich wie die anderen Toten. Die Zellentür stand weit offen, der Schlüssel steckte.
    Phyllis erinnerte sich, daß Fred es schon immer geliebt hatte, in der Zelle ein Mittagsschläfchen zu halten. Dabei hatte ihn der Tod überrascht.
    Er mußte leise gekommen sein, leise und völlig schmerzlos. Es gab keine andere Erklärung für den gelösten, entspannten Ausdruck in Freds Gesicht.
    Phyllis hielt sich an den Gitterstäben fest, die die vordere Begrenzung der Zelle bildeten. Noch mehr als der Tod der anderen Menschen erschütterte sie Freds Ende. Er war einer der wenigen Jungen gewesen, die in Springfield zurückgeblieben waren. Sie hatte gemeinsam mit ihm die Schule besucht.
    Eine Stadt war plötzlich gestorben. Woran und wieso?
    Phyllis wunderte sich, daß sie sich diese Frage erst jetzt stellte.
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