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Jeder stirbt für sich allein

Jeder stirbt für sich allein

Titel: Jeder stirbt für sich allein
Autoren: Hans Fallada
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weiß nicht genau, was sie spricht. «Mädel», ruft er. «Besinn dich! Wie sollst du und solch ein Plakat ... Du bist jung, das ganze Leben liegt vor dir. Du wirst wieder lachen, du wirst Kinder haben .»
    Sie schüttelt trotzig den Kopf. «Ich krieg keine Kinder, solange ich nicht bestimmt weiß, sie werden mir nicht totgeschossen. Solange irgend so ein General sagen kann: Marschier und krepier! Vater», fährt sie fort und faßt jetzt seine Hand fest in die ihre, «Vater, kannst du denn wirklich wie bisher weiterleben, jetzt, wo sie dir deinen Otto totgeschossen haben?»
    Sie sieht ihn eindringlich an, und wieder wehrt er sich gegen das Fremde, das in ihn eindringt. «Die Franzosen», murmelt er.
    «Die Franzosen!» ruft sie empört. «Redest du dich auf so was raus? Wer hat denn die Franzosen überfallen? Na, wer, Vater? Sag doch!»
    «Aber was können wir denn tun?» wehrt sich Otto Quangel verzweifelt gegen dieses Drängen. «Wir sind nur ein paar, und all die Millionen sind für ihn, und jetzt nach diesem Siege gegen Frankreich erst recht. Gar nichts können wir tun!»
    «Viel können wir tun!» flüstert sie. «Wir können die Maschinen in Unordnung bringen, wir können schlecht und langsam arbeiten, wir können deren Plakate abreißen und andere ankleben, in denen wir den Leuten sagen, wie sie belogen und betrogen werden.» Sie flüstert noch leiser:
    «Aber die Hauptsache ist, daß wir anders sind als die, daß wir uns nie dazu kriegen lassen, so zu sein, so zu denken wie die. Wir werden eben keine Nazis, und wenn die die ganze Welt besiegen!»
    «Und was erreichen wir damit, Trudel?» fragt Otto Quangel leise. «Ich sehe nicht, was wir damit erreichen.»
    «Vater», antwortet sie. «Ich hab's im Anfang auch nicht verstanden, und ganz richtig versteh ich's noch immer nicht. Aber, weißt du, wir haben hier so im geheimen eine Widerstandszelle im Betrieb gebildet, ganz klein erst, drei Männer und ich. Da ist einer bei uns, der hat's mir zu erklären versucht. Wir sind, hat er gesagt, wie der gute Same in einem Acker voll Unkraut. Wenn der gute Same nicht wäre, stünde der ganze Acker voller Unkraut. Und der gute Same kann sich ausbreiten ...»
    Sie hält inne, als sei sie über etwas zutiefst erschrocken.
    «Was ist, Trudel?» fragt er sie. «Das mit dem guten Samen, das ist kein schlechter Gedanke. Ich werde darüber nachdenken, ich habe so viel nachzudenken in
    nächster Zeit.»
    Aber sie sagt voll Scham und Reue: «Nun habe ich das mit der Zelle doch ausgeplappert, und ich habe heilig geschworen, es keinem einzigen Menschen zu verraten!»
    «Darüber mach dir keine Gedanken, Trudel», sagt Otto Quangel, und seine Ruhe überträgt sich unwillkürlich auf das gequälte Ding. «Bei dem Otto Quangel geht so was zum einem Ohr rein und zum andern raus. Ich weiß von nichts mehr.» Mit einer grimmigen Entschlossenheit starrt er jetzt auf das Plakat. «Da könnte die ganze Gestapo kommen, ich weiß eben von nichts mehr. Und», setzt er hinzu, «und wenn du willst, und es macht dich ruhiger, so kennst du uns eben von dieser Stunde an nicht mehr.
    Du brauchst auch heute abend nicht mehr zu Anna zu kommen, ich mach's ihr schon irgendwie mundgerecht, ohne ihr etwas zu sagen.»
    «Nein», antwortet sie darauf, sicher geworden. «Nein, zur Mutter gehe ich heute abend noch. Aber ich werde es den andern sagen müssen, daß ich mich verplappert habe, und vielleicht wird dich einer vornehmen, um zu sehen, ob du auch zuverlässig bist.»
    «Die sollen mir nur kommen!» sagt Otto Quangel drohend. «Ich weiß von nichts. Auf Wiedersehen, Trudel. Ich werde dich wohl heute nicht mehr sehen, vor zwölf komme ich fast
    nie von der Arbeit zurück.»
    Sie gibt ihm die Hand und geht dann den Gang zurück, in das Innere der Fabrik hinein. Sie steckt nicht mehr so voll von sprühendem Leben, aber sie ist immer noch voller Kraft. Gutes Mädel! denkt Quangel. Tapferer Kerl!
    Dann steht Quangel allein auf dem Gang mit seinen Plakaten, die in dem ewigen Zug leise rascheln. Er schickt sich an zu gehen. Aber vorher tut er noch etwas, das ihn selbst überrascht: Er nickt dem Plakat, an dem Trudel weinte, zu - mit einer grimmigen Entschlossenheit.
    Im nächsten Augenblick schämt er sich seines Tuns. Das ist ja blöde Fatzkerei! Dann macht er, daß er nach Hause kommt. Es ist die allerhöchste Zeit, er muß sogar eine Elektrische nehmen, was seinem Sparsinn, der manchmal fast an Geiz grenzt, verhaßt ist.

Enno Kluges Heimkehr
    Um zwei Uhr
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