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Jan Fabel 06 - Tiefenangst

Titel: Jan Fabel 06 - Tiefenangst
Autoren: Craig Russell
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Korn, während er beobachtete, wie das Gorgonenhaupt nach oben trieb und sein Sichtfeld verließ. Es war kein flüchtiger Gedanke, sondern eine Offenbarung. Die Ablehnung jahrelanger Studien und millionenschwerer Investitionen. Seiner Lebensaufgabe. Ich sollte nicht hier sein. Plötzlich begriff Korn, dass seine Anwesenheit an diesem Ort so widersinnig war, als würde sich das Gorgonenhaupt, an dem er vorbeigedriftet war, daranmachen, die Höhen des Mount Everest zu erforschen. Ich habe kein Recht, hier zu sein. Dies ist nicht unsere Welt. Er dachte an die Zeit, die Mühen, das Geld, die er für das Pharos-Projekt aufgebracht hatte. Millionen.
    Abwerfen . Korn hörte Wiegands einziges vollständiges Wort, bevor die Sprechverbindung völlig verstummte. Abwerfen. Was abwerfen? Wiegand hatte versucht, ihm etwas mitzuteilen. Korn bemühte sich erneut, Kontakt zum Mutterschiff herzustellen, aber er hörte keine Antwort. Er drückte auf die zentrale Motorsteuerung. Nichts. Das Pult war immer noch tot.
    Ich werde hier sterben, dachte er. Ich werde sterben, und niemand wird meine Leiche je finden, und das habe ich verdient, weil ich nicht hier sein sollte.
    Ein Knarren.
    Es war ein leises Grollen wie von einem Meerestier, das im Abgrund ächzte. Doch Korn wusste, dass es die protestierenden Rippen des Druckkörpers waren. Er blickte sich verzweifelt in der Kabine um und musterte den beängstigend engen Raum aus Betonstahl, der ihn umgab, ebenso wie die dicken Quarzscheiben der Bullaugen. Vielleicht würde es rasch vorbei sein. Er hatte sich vorgestellt, am Boden des Grabens liegen zu bleiben. Gefangen und bewegungslos, bis er allmählich – schreiend und kratzend – wahnsinnig wurde, während die hundert Stunden verstrichen, in denen er noch Sauerstoff hatte. Aber ihm wurde klar, dass bald die Belastungsfähigkeit der Pharos One überschritten sein würde, und vielleicht würde ihn dann eine Niete töten, die durch den intensiven Wasserdruck aus ihrer Fassung schoss. Oder er würde, was wahrscheinlicher war, durch die Implosion des Stahls im nachgebenden Rumpf wie ein Käfer zwischen zwei Fingern zu Tode gequetscht werden.
    Erneut Wiegands Stimme. Diesmal klarer.
    »Dominik!«
    Korn betrachtete den Tiefenmesser. Viertausendachthundert Meter. Fünftausend. O Gott, nein. Zu tief. Zu tief.
    »Dominik!«
    »Hier«, erwiderte er, überrascht darüber, wie trübe seine Stimme klang. Ein Geräusch. Nicht laut, doch beständig: ein sanftes, mechanisches Surren. Die Motoren.
    »Wir haben die Steuerung außer Kraft gesetzt. Dominik, hörst du mich?«
    »Ich bin hier«, sagte er. »Ich sollte nicht hier sein.«
    »Dominik, hör mir zu. Konzentrier dich. Zieh deinen Evak-Anzug an.«
    »Evak-Anzug?« Plötzlich wurde Korn aufmerksam. Eine Stimme, die fünf Kilometer und ein Universum entfernt war, hatte etwas in ihm geweckt. »Was zum Teufel soll ein Evak-Anzug bewirken? Ich bin fast fünftausend Meter unter der Oberfläche.«
    »Wir haben deine Messwerte bekommen. Etwas hat die Zellen beschädigt. Wir glauben, dass wir dich hochholen können. Vielleicht bis ganz nach oben, vielleicht nicht.«
    Korn schaute wieder auf den Tiefenmesser. Eine Sekunde lang, die ewig zu dauern schien, blieb die Anzeige unverändert. Dann, unerträglich langsam, ließ sie ein Aufsteigen erkennen.
    »Hörst du mich, Dominik?«
    »Ich höre dich.« Nun war er völlig wach und litt den quälenden Schmerz der Hoffnung. »Sofort. Ich bin dabei.« Wild mit dem Sicherheitsgurt hantierend, mühte er sich in der sargähnlichen Kabine ab, den Anzug aus dem Gehäuse hinter dem Kommandostuhl zu zerren. Er zwängte sich hinein. Die Manschetten aus Neopren und Gummi schnürten ihn ein, während der leuchtend orangene Evak-Anzug ihn wie ein lockeres Zelt umgab. Ein zweites Gefängnis.
    »Du musst dich beeilen, Dominik …« Wiegands Stimme klang gepresst und gleichmäßig. Gezwungen. Künstliche Ruhe, hinter der sich Panik verbarg. »Hör zu, Dominik. Wenn die Leistung nachlässt, werden wir sämtlichen Ballast abwerfen. Schlagartig. Wir hoffen, dass der Schub dich an die Oberfläche bringt. Aber du wirst schnell hochkommen. Zu schnell. Verstehst du?«
    »Ich verstehe.« Korns Stimme wurde durch den Plastikschirm an seiner Anzughaube gedämpft.
    »Du könntest wieder die Verbindung mit uns verlieren. Lass den Tiefenmesser nicht aus den Augen. Wenn dein Aufstieg stoppt, musst du raus und im Evak-Anzug hochkommen. Möglicherweise können wir dich ohne Evakuierung an die
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