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Jan Fabel 02 - Wolfsfährte

Jan Fabel 02 - Wolfsfährte

Titel: Jan Fabel 02 - Wolfsfährte
Autoren: Craig Russell
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gingen sofort zur Haustür und klingelten. Nichts rührte sich.Anna und Henk Hermann standen hinter ihnen und winkten den Schutzpolizisten zu, die eine Türramme aus dem Kofferraum ihres grün-weißen Opels hervorholten. Die Kriminalbeamten traten zur Seite, sodass die Schutzpolizisten die Ramme knapp unterhalb des Schlosses gegen die Tür wuchten konnten. Die Tür war aus massivem Eichenholz, das sich im Laufe der Jahre fast schwarz verfärbt hatte. Die Männer schwangen die Ramme dreimal, bevor das Holz vom Schloss absplitterte und die Tür gegen die Wand der Eingangshalle knallte.
    Fabel und die anderen wechselten einen Blick, bevor sie Biedermeyers Haus betraten. Alle wussten, dass sie mit einem außergewöhnlichen Wahnsinn konfrontiert werden würden, und sie rüsteten sich für das, was kommen mochte.
    Sie begannen in der Eingangshalle.
    Das Innere des Hauses war düster, und eine Glastür trennte die Halle vom Flur dahinter. Fabel schob die Tür behutsam auf, obwohl er mit keiner Gefahr rechnete. Biedermeyer war nun in seiner Zelle eingesperrt – oder auch nicht, denn seine mächtige Präsenz war hier immer noch zu spüren. Der Flur war groß und schmal; an der hohen Decke hing eine Lampe mit drei Glühbirnen. Fabel schaltete das Licht an, und der Flur füllte sich mit einem öden, gelblichen Schimmer.
    Die Wände waren mit einer Art Patchwork aus Bildern sowie bedruckten und handschriftlichen Seiten bedeckt. Blätter des vertrauten gelben Papiers, voll mit den vertrauten winzigen roten Buchstaben, waren an eine Wand geklebt worden. Fabel musterte sie: Sämtliche Grimm’schen Märchen waren völlig fehlerfrei von derselben zwanghaften Person niedergeschrieben worden. Ein unglaublicher Wahnsinn. Zwischen den Blättern hingen Druckseiten aus verschiedenen Ausgaben der grimmschen Werke. Und Bilder – Hunderte von Märchenillustrationen. Viele erinnerten Fabel an die Originale, die der Schriftsteller Gerhard Weiss gesammelt hatte. Andere stammten aus der Nazizeit und ähnelten den von Weiss beschriebenen Bildern. Fabel bemerkte, dass Anna Wolff stehen geblieben war, um eines zu betrachten. Es stammte aus den Dreißigerjahren, und die alte Hexe hatte die Gesichtszüge einer jüdischen Karikatur. Mit krummem Rücken schürte sie das Feuer unter dem Ofen, den sie mit gierigem, kurzsichtigem Blick anschaute. Es war eine der ekelhaftesten Abbildungen, die Fabel je gesehen hatte. Darin verbarg sich eine Bedrohung, eine Ankündigung des Bösen. Er konnte nur ahnen, was Anna empfinden musste.
    Sie schoben sich durch den Flur. Mehrere geräumige Zimmer gingen von ihm ab, und an einer Seite führte eine Treppe nach oben. Alle Zimmer waren unmöbliert, doch Biedermeyers irre Collagen hatten sich auch hier und an der Seite der Treppe ausgebreitet wie Schimmel oder Fäulnis. Ein Geruch, den Fabel nicht identifizieren konnte, lauerte in dem Haus, haftete an den Wänden und klammerte sich an die Kleidung der Polizisten.
    Fabel nahm sich das erste Zimmer zur Linken vor und bedeutete Werner durch ein Zeichen, den gegenüberliegenden Raum zu untersuchen. Maria ging den Flur entlang, und Anna und Henk stiegen die Treppe hinauf. Fabel musterte seine Umgebung. Der dunkle Holzfußboden war staubig, und wie in den anderen Zimmern fehlten Möbel, als ob hier niemand wohnte.
    »Chef«, rief Anna von oben. »Sieh dir das an.« Fabel, gefolgt von Werner, stieg hastig die Treppe hinauf. Anna stand an einer offenen Tür, die in ein Schlafzimmer führte. Hier musste sich, im Gegensatz zu den anderen Räumen, jemand aufgehalten haben. Die Wände waren, wie die im Flur, mit handgeschriebenen Seiten, Bildern und Abschnitten aus Büchern bedeckt. Mitten im Zimmer stand ein Klappbett mit einem kleinen Serviertisch daneben. Doch nichts davon weckte Fabels Aufmerksamkeit. An zwei Wänden waren Regale voller Bücher angebracht. Fabel trat näher. Nein, keine Bücher. Ein Buch.
    Biedermeyer musste Jahre damit verbracht und fast sein gesamtes Geld dafür aufgewandt haben, sich diese Ausgaben der Grimm’schen Märchen zu kaufen. Antiquarische Exemplare standen neben nagelneuen Paperbacks; goldgeprägte Buchrücken neben billigen Taschenbucheinbänden. Französische, englische und italienische Editionen befanden sich neben ungezählten deutschen Ausgaben aus einer fast zweihundertjährigen Publikationsgeschichte. Kyrillische, griechische, chinesische und japanische Titel lösten sich mit Werken in lateinischer Schrift ab.
    Fabel, Werner, Anna und Henk
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