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Jan Fabel 02 - Wolfsfährte

Jan Fabel 02 - Wolfsfährte

Titel: Jan Fabel 02 - Wolfsfährte
Autoren: Craig Russell
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noch an die Wand hinter ihm lehnte. Sie schüttelte den Kopf.
    »Aber Sie haben keinen Bruder, Herr Biedermeyer«, sagte sie. »Sie waren ein Einzelkind.«
    »Natürlich habe ich einen Bruder.« Das Lächeln auf Biedermeyers Lippen verschwand. Zum ersten Mal wurde seine liebenswürdige Miene von etwas unendlich Bedrohlicherem verdrängt, von etwas Raubtierhaftem. »Ohne meinen Bruder bin ich nichts. Ohne mich ist er nichts. Wir ergänzen einander.«
    »Wer ist Ihr Bruder?«
    Biedermeyers nachsichtiges Lächeln kehrte zurück. »Aber Sie kennen ihn doch. Sie sind ihm begegnet.« Fabel machte eine verständnislose Geste. »Sie kennen meinen Bruder Wilhelm Grimm unter dem Namen Gerhard Weiss.« Biedermeyer seufzte.
    »Weiss?« fragte Maria. »Behaupten Sie, dass der Schriftsteller Gerhard Weiss die Verbrechen zusammen mit Ihnen begangen hat?«
    »Erstens sind es keine Verbrechen. Es handelt sich um schöpferische Akte, die nichts Destruktives an sich haben. Sie verkörpern Wahrheiten, die viele Generationen zurückreichen. Mein Bruder und ich zeichnen diese Wahrheiten auf. Er hat nichts mit mir zusammen begangen . Er hat mit mir zusammengearbeitet, genau wie vor fast zweihundert Jahren.«
    Fabel lehnte sich in seinem Stuhl zurück, streckte die Arme aus und ließ die Handballen auf dem Tischrand ruhen. Er betrachtete Biedermeyer und das freundliche, stets lächelnde Gesicht, das die von der enormen Gestalt ausgehende Bedrohung nicht zu bestätigen schien. Deshalb hast du die Maske getragen, dachte Fabel. Deshalb hast du dein Gesicht versteckt. Er stellte sich vor, wie erschreckend der maskierte Biedermeyer gewirkt haben musste und welch pure Angst seine Opfer vor ihrem Tod empfunden hatten. »Aber Gerhard Weiss hat doch von alledem keine Ahnung, Herr Biedermeyer. Abgesehen von dem Brief, den Sie an seinen Verlag geschickt haben, gibt es keinen direkten Kontakt zwischen Ihnen.«
    Wieder lächelte Biedermeyer. »Nein. Sie verstehen die Zusammenhänge nicht. Habe ich Recht, Herr Kriminalhauptkommissar?«
    »Mag sein. Sie müssen mir helfen, das alles zu verstehen. Aber vorher muss ich Ihnen eine sehr wichtige Frage zu stellen. Vielleicht ist es die wichtigste. Wo ist Paula Ehlers’ Leiche?«
    Biedermeyer beugte sich vor und stützte die Ellbogen auf den Tisch. »Sie werden Ihre Antwort bekommen, Herr Fabel. Das verspreche ich Ihnen. Ich werde Ihnen sagen, wo Sie PaulaEhlers’ Leiche finden können. Und ich werde es Ihnen heute sagen… aber noch nicht jetzt. Erst möchte ich Ihnen schildern, wie ich sie gefunden und warum ich sie ausgewählt habe. Und ich werde Ihnen helfen, die spezielle Beziehung zwischen meinem Bruder Wilhelm, den Sie als Gerhard Weiss kennen, und mir zu verstehen.« Er unterbrach sich. »Könnte ich ein Glas Wasser haben?«
    Wieder nickte Fabel einem der uniformierten Beamten zu. Dieser füllte einen Pappbecher neben dem Wasserspender und stellte ihn vor Biedermeyer hin. Der trank den Becher in einem Zug aus. Seine Schluckgeräusche verstärkten sich in der Stille des Vernehmungszimmers.
    »Ich habe die Torte am Tag vor der Geburtstagsparty – zwei Tage bevor ich Paula mitnahm – bei den Ehlers abgeliefert. Ihre Mutter eilte mit der Torte davon, um sie zu verstecken, bevor Paula aus der Schule zurückkam. Ich fuhr gerade weg, als Paula um die Ecke bog und auf das Haus zuging. Ich dachte: ›So ein Glück! Wenn ich die Torte etwas später abgegeben hätte, wäre ihr die Überraschung verdorben worden.‹ Dann forderte Wilhelm mich auf, das Mädchen mitzunehmen und ihrem Leben ein Ende zu machen.«
    »Wilhelm war bei Ihnen im Auto?«, fragte Werner.
    »Wilhelm ist immer bei mir, überall. Er hat sehr lange Zeit geschwiegen. Seit meiner Kindheit. Aber ich wusste immer, dass er bei mir war und mich beobachtete. Er hat meine Geschichte, mein Schicksal geplant und alles aufgeschrieben. Ich war so froh, wieder seine Stimme zu hören.«
    »Was hat Wilhelm zu Ihnen gesagt?«, hakte Fabel nach.
    »Er hat mir gesagt, dass Paula rein ist. Unschuldig. Unbefleckt von der Verdorbenheit und dem Schmutz unserer Welt. Wilhelm meinte, dass ich dafür sorgen kann, dass sie so bleibt. Dass ich sie vor der Fäulnis und dem Zerfall rette, wenn ich sie in einen ewigen Schlaf versetze. Er sagte, dass ich ihre Geschichte beenden muss.«
    »Durch Mord, meinen Sie?«, fragte Fabel. Biedermeyer zuckte die Achseln, um zu verdeutlichen, dass ihn die Bedeutung des Begriffs nicht berührte. »Wie haben Sie das Mädchen
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