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Jack Holborn unter den Freibeutern

Jack Holborn unter den Freibeutern

Titel: Jack Holborn unter den Freibeutern
Autoren: Leon Garfield
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sonst noch: mehr als genug, um
    eine Sänfte zu füllen und sie vor uns her nach Hause zu schicken.
    »Frohe Weihnachten, Jack. Frohe Weihnachten!«
    Aber eine Begebenheit hätte’s beinahe verdorben:
    eine seltsam geisterhafte Sache. Wir gerieten an den schwarz gekleideten Mann, der das Signal weiterge-geben hatte. Er sah uns an, als wären wir wahnsin-
    nig. Aber Lord Sheringham tat so, als sähe er ihn
    nicht und tauchte sofort in einem der Läden unter.
    Ich hatte plötzlich den krankhaften Wunsch, dem
    Burschen nachzugehen und ihn über alles auszufra-
    gen, was er wußte – ob es würdig gewesen war oder
    nicht … Aber davon hörte ich erst viele Tage später, und dann aus einer nicht zuverlässigen Quelle.
    Ich hörte, er hätte sich im Karren sehr gelockert
    und zuversichtlich verhalten: er hätte den geistlichen Zuspruch des Pfarrers mit Nicken und Lächeln angehört – was alles einen guten Eindruck machte. Den-
    noch wurde bemerkt, daß er kein Wort sprach.
    Es wurde behauptet, daß er noch gelächelt habe,
    als er sich vom Karren schwang, wobei er keinen
    Versuch unternahm, sich zu befreien – was so viele
    tun. Man sagte, das einzige, was ihn erschreckte, ob-270
    wohl er schon darüber hinaus gewesen sein muß,
    war, als ein völlig unerwarteter Freund vorstürzte, um an seine Knie zu springen und ihm einen letzten
    barmherzigen Ruck zu verabreichen.
    Es wurde gesagt, daß er dabei in höchstem Maße
    entsetzt aussah. Das dauerte jedoch nur einen Au-
    genblick, da sein Genick sofort brach. Ich habe mich oft gefragt, wer dieser Freund war. Zuerst fürchtete ich, es sei Mister Trumpet gewesen. Aber niemand
    kannte ihn. Man konnte nichts weiter sagen, als daß es ein zielbewußt aussehender, leicht verschimmelter Bursche gewesen sei – als sei ihm seine Kleidung auf dem Körper getrocknet.
    Und später stellte sich heraus, daß derselbe
    Freund doch nicht das richtige getan hatte. Denn irgendwer – höchstwahrscheinlich der Henker – hatte
    ihm vorher eine Silberröhre zugesteckt, die er als
    Schutz gegen den Erstickungstod in die Kehle stek-
    ken sollte. Er wäre also gar nicht gestorben, wäre
    nicht dieser übereifrige Freund gewesen … Immer-
    hin war er mit Würde abgegangen. Doch so was wie
    ein Gentleman.
    Jetzt weiß ich selbstverständlich, daß Mister
    Trumpet nicht in Tyburn gewesen sein kann. Er war
    zu der Zeit nicht einmal in London. Er wartete im
    Gasthaus zum Schwarzen Löwen in Patcham, da er
    uns das am Tag vorher so mitgeteilt hatte. Als wir
    hinter der Sänfte hergehend wieder in die Dover
    Street gelangten, war der Brief schon da.
    Ich erkannte die Handschrift nicht, wohl aber Lord
    271
    Sheringham, und sie hatte auf ihn eine bemerkens-
    werte Wirkung.
    Er war Mister Trumpet unendlich zugetan, und
    nicht nur wegen der guten Tat, die ihm Mister
    Trumpet angedeihen ließ. Er schätzte und bewunder-
    te Mister Trumpet von ganzem Herzen, und wieder
    von ihm zu hören – mit der zusätzlichen Freude, ihn auch bald wieder zu sehen – war in der Tat ein gro-
    ßes Vergnügen.
    »Was sagst du dazu, Jack? Ein Brief von Mister
    Trumpet! Ich hab’s ja gesagt, wenn er will, und keinen Tag früher, wie? Und jetzt – ein Brief. Er hat eine schöne Schrift – sauber bis aufs i-Tüpfelchen … Wir werden ihn bald sehen. Ist das nicht eine gute Nachricht? Eine bessere Zeit dafür konnte’s gar nicht geben. Er ist in Patcham. Das ist in Sussex – knappe
    fünfzig Meilen. Im Schwarzen Löwen, den kenne ich
    gut … Er schreibt, wir sollen ihn da treffen … sobald wir können. Das wird ein richtiges Weihnachtsfest.
    Mister Trumpet! Man denke nur!
    Er schreibt – was ist das? Die Schrift ist so ge-
    drängt … Er schreibt, er wolle nichts versprechen,
    aber er habe vielleicht Neuigkeiten für dich, Jack.
    Das ist auch etwas, wie?
    Aber jetzt! Die Zeit, Junge! Deine neue Uhr! Die
    Zeit! Wenn wir, sagen wir, in einer Stunde fahren,
    könnten wir in Horley übernachten und am späten
    Morgen in Patcham sein. Heiligabend, und mit Mi-
    ster Trumpet. Ha! Mister Solomon Trumpet höchst-
    persönlich.«
    272
    Es traf sich so, daß wir beinahe mehr als eine Nacht in Horley verbrachten, denn der Regen verwandelte
    sich sehr schnell in Schnee und machte die Straße
    sehr gefährlich. Dann wurde es in der Nacht schnei-
    dend kalt, so daß sich am Morgen der Schnee überall gesetzt hatte und die Straße von der Landschaft nicht mehr zu unterscheiden war. Aber wir brauchten nicht länger als zwei
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