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Ist das Kafka?: 99 Fundstücke (German Edition)

Ist das Kafka?: 99 Fundstücke (German Edition)

Titel: Ist das Kafka?: 99 Fundstücke (German Edition)
Autoren: Reiner Stach
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Brauerei gepachtet hatte. Julie hatte fünf Brüder; ihre Ausbildung beschränkte sich vermutlich auf häuslichen Privatunterricht. 1876 übersiedelte die Familie nach Prag. 1882 lernte sie – offenbar durch einen Heiratsvermittler – Hermann Kafka kennen, der zu diesem Zeitpunkt noch als Handlungsreisender angestellt war, aber bereits in Prag lebte. Fast gleichzeitig mit der Hochzeit im September 1882 wurde auch das Kafka’sche Galanteriewarengeschäft eröffnet, nicht zuletzt auf Grundlage von Julies Mitgift.
    In diesem Geschäft trat zwar Hermann als unumschränkter Prinzipal auf, doch trotz der sechs Geburten und der zunehmenden Pflichten im Haushalt verbrachte Julie Kafka fast genauso viele Arbeitsstunden im Geschäft wie ihr Mann und war hier auch an allen wesentlichen Entscheidungen beteiligt.
    Im Gegensatz zu ihrem polternden und ewig nörgelnden Ehemann war Julie eine ausgeglichene, pragmatische, dabei freundliche und weithin beliebte Persönlichkeit. Charakteristisch für sie war – und Kafka hat ihr dies auch vorgehalten –, dass sie die häufigen Konflikte zwischen ihren Kindern und ihrem Mann stets zu ersticken suchte, anstatt wirkliche Lösungen zu suchen: dies zumeist mit dem Argument, Hermann müsse ›geschont‹ werden. Da Julie keine Beziehung zur Literatur hatte, blieb sie gegenüber der intellektuellen Entwicklung ihres Sohnes indifferent; es ist nicht bekannt, ob sie je eines seiner Werke gelesen hat.
    Mit dem Verkauf ihres Geschäfts im Jahr 1918 setzte sich das Ehepaar Kafka zur Ruhe. Nach dem Tod ihres Mannes am 6. Juni 1931 übersiedelte Julie Kafka vom Altstädter Ring in das 1918 erworbene Haus Bilekgasse 4, wo bereits die Töchter Ottla und Elli mit ihren Familien sowie Julies Bruder Siegfried lebten. Dort starb sie am 27. September 1934.

Kafka, Ottla
    Ottilie Kafka, genannt Ottla, geboren am 29. Oktober 1892 in Prag, war die jüngste Schwester Franz Kafkas. Nach dem Besuch der deutschen Mädchenschule in der Fleischergasse wechselte sie vermutlich wie ihre beiden älteren Schwestern auf ein privates Mädchenfortbildungsinstitut. Nach dem Ende ihrer Schulausbildung arbeitete sie als einzige der Geschwister im elterlichen Geschäft.
    Von den drei Schwestern stand sie Kafka am nächsten, war seine »beste Prager Freundin«, wie die im Tagebuch des Bruders dokumentierten vertrauensvollen Gespräche belegen. Wohl unter dem Einfluss ihres Bruders interessierte auch sie sich für die zionistische Bewegung, trat dem Klub jüdischer Frauen und Mädchen bei und dachte mit Blick auf eine Auswanderung nach Palästina daran, eine landwirtschaftliche Ausbildung zu machen. Als sie sich während des Ersten Weltkriegs entschloss, ein kleines Gut in dem westböhmischen Dorf Zürau zu übernehmen, das der Familie ihres Schwagers Karl Hermann gehörte, unterstützte ihr Bruder sie dabei, diese Entscheidung auch gegen den heftigen Widerstand des Vaters durchzusetzen. Von Mitte April 1917 bis zum Herbst 1918 bewirtschaftete Ottla Kafka das Zürauer Gut, und von September 1917 bis April 1918 nahm sie auch ihren Bruder auf, der nach dem Ausbrechen seiner Lungenkrankheit Erholung auf dem Land suchte. Ab November 1918 besuchte sie die landwirtschaftliche Winterschule in Friedland, die ihr vom Bruder empfohlen worden war. Nachdem sie im März 1919 ihre Ausbildung in Friedland beendet hatte, kehrte Ottla Kafka nach Prag zurück; Versuche, eine Stellung in einem landwirtschaftlichen Betrieb zu finden, scheiterten.
    Am 15. Juli 1920 heiratete Ottla Kafka den katholischen Tschechen Josef David. Die Beziehung zu David hatte bereits vor dem Krieg begonnen; ihre Eltern hatten davon allerdings erst nach seiner Entlassung aus dem Militärdienst erfahren. Hermann Kafka brachte bei aller Sympathie für den Bräutigam Bedenken insbesondere gegen die Nationalität und die andere Religionszugehörigkeit vor, aber wiederum setzte sich Ottla Kafka in zum Teil heftigen Auseinandersetzungen mit dem Vater durch.
    Die Geburt der beiden Töchter Věra (1921) und Helene (1923) und ihre Entwicklung wurden von Franz Kafka mit großer Anteilnahme verfolgt; auch bemühte er sich um ein gutes Verhältnis zum Mann seiner Schwester. Im Sommer 1922 verbrachte er mit der Familie David drei Monate auf dem Land in Planá nad Lužnicí. Ottla Davidová war es auch, die in Kafkas letzten Jahren, während seiner krankheitsbedingten Abwesenheit von Prag, in seinem Auftrag die Unterhandlungen mit seinen Vorgesetzten in der
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