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Ist das Kafka?: 99 Fundstücke (German Edition)

Ist das Kafka?: 99 Fundstücke (German Edition)

Titel: Ist das Kafka?: 99 Fundstücke (German Edition)
Autoren: Reiner Stach
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Prag aus Pakete an die Brauns zu senden, darunter auch zu Muzzis 4. Geburtstag am 31. Dezember 1915. Kafka schickte Kinderbücher und vermutlich einige (kriegsbedingt schon recht teuer gewordene) Süßigkeiten nach Budapest, die Familie Braun bedankte sich mit einem Foto, das die kleine Muzzi als Malerin zeigt. An Felice schrieb Kafka:
Von Deiner Schwester bekam ich gestern einen liebenswürdigen Brief, der mich sehr beschämt, denn ich habe doch an der Sendung für Muzzi nicht das geringste Verdienst, nur die mittelmässige Auswahl stammt von mir (Mit den 20 M sind natürlich beide Pakete überreichlich bezahlt.) Auch ein hübsches Bild von Muzzi lag bei. Eine etwas phantastische Aufnahme. Muzzi mit einer Palette vor einem Bild (Storch mit Kind) Was für ein kluges hübsches gut gebautes Kind das ist. Ich habe viel zu wenig und viel zu schlechte Sachen geschickt – fiel mir vor dem Bild ein.

»Muzzi« Braun, 1915

»Muzzi« Braun, 1998
    Im folgenden Jahr schickte Else Braun offenbar Bittbriefe an Kafka, was ihre Schwester Felice zu unterbinden suchte. Zu Muzzis nächstem Geburtstag an Sylvester 1916 schnürte Kafka jedoch erneut ein Paket, wie aus drei weiteren Briefen an die Verlobte hervorgeht:
Morgen schicke ich das Paket für Muzzi weg. Nein vielleicht warte ich noch auf einen Auftrag von Dir. Vorläufig stelle ich zusammen: 2 Bücher 1 Spiel, Bonbons, Karlsbader Oblaten, Chokolade. Darüber hinaus versagt aber meine Phantasie. Soll nicht auch ein Kleidchen oder etwas derartiges beigepackt werden. Darüber müsste ich aber genaue Angaben bekommen, im übrigen würde ich es mir von Ottla besorgen lassen. […]
 
Das Geschenk für Muzzi wird diesmal besonders hübsch, Ottla hat die Ausführung übernommen. […]
 
Gestern ging das Paket an Muzzi ab, sehr hübsch, nur den Fehler hat es dass kein passendes Spiel gefunden wurde und deshalb ein Steinbaukasten geschickt wurde. Aber das Übrige macht diese Ungeschicklichkeit wieder gut.

8
    Kafka kann nicht lügen
    Kafka fiel es zeitlebens außerordentlich schwer, bewusst die Unwahrheit zu sagen. So zeigt etwa der Vergleich zwischen seinen Tagebüchern und den gleichzeitigen Korrespondenzen, dass er sehr wohl Tatsachen verschweigen konnte oder sie – je nach Adressat – in einem anderen Licht darstellte. Es finden sich jedoch so gut wie keine Beispiele für ausgesprochene Lügen oder Notlügen.
    Eine bemerkenswerte Ausnahme gestattete sich Kafka am Morgen des 23. September 1912. In der Nacht zuvor hatte er keinen Augenblick geschlafen, sondern seine Erzählung Das Urteil niedergeschrieben, und sowohl die Erschöpfung als auch der narzisstische Überschwang nach dieser Leistung – die er sofort als schöpferischen Durchbruch empfand – machten es ihm unmöglich, sich wie gewohnt gegen 7.45 Uhr ins Büro zu begeben. Stattdessen schickte er eine Nachricht an seinen Vorgesetzten Eugen Pfohl: Wegen Fiebers und eines »kleinen Ohnmachtsanfalls« könne er wohl erst am Nachmittag zum Dienst erscheinen, aber er komme »bestimmt« (siehe das Faksimile, die Rückseite einer Visitenkarte). Doch Kafka blieb zu Hause und musste dann am folgenden Tag die besorgten Nachfragen seiner Kollegen ertragen und ein wenig Komödie spielen.
    Beschwichtigen konnte Kafka seine Skrupel gegenüber Lügen nur dann, wenn sie eindeutig nicht im eigenen Interesse waren. So verschwieg er im Herbst 1917 gegenüber seinen Eltern den Ausbruch der Tuberkuloseerkrankung, und um diese Täuschung aufrechterhalten zu können, war er gezwungen, für den dreimonatigen Erholungsurlaub, den seine Behörde ihm genehmigte, eine andere Erklärung zu liefern. Man gönne ihm diese Pause wegen seiner »Nervosität«, behauptete Kafka. Dass seine Eltern dies tatsächlich glaubten, ehe sie Monate später doch die Wahrheit erfuhren, ist erstaunlich genug. Denn während des Kriegs wurde den nicht eingezogenen Beamten sogar der reguläre zweiwöchige Urlaub verweigert, und eine Beurlaubung wegen Nervosität war ganz undenkbar.

    Eine Lüge gegen das Interesse des anderen, noch dazu mündlich vorzutragen, konnte für Kafka zum unüberwindlichen Problem werden. So gelang es ihm im August 1920 nicht, für eine kurze Reise nach Wien, um die ihn Milena Jesenská händeringend gebeten hatte, Urlaub von seinen wohlwollenden Vorgesetzten zu erlangen. Denn dazu hätte er einen dringenden Anlass, möglichst familiärer Art, vorbringen müssen.
    Jesenská, die in dieser Hinsicht weniger skrupulös war, schlug vor,
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