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Isola - Roman

Isola - Roman

Titel: Isola - Roman
Autoren: Arena
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darauf von einer kalten Welle der Angst überrollt wurde.
    Meine Hand steckte in meiner Hosentasche und darin lag das Handy, die ganze Zeit schon, es schien zwischen meinen Fingern zu schmelzen, aber ich konnte es nicht benutzen und ich hatte panische Angst, dass Tobias es einfordern würde, bevor es zu spät war. Bevor ich jemanden anrufen konnte.
    Tobias sah jetzt wieder zu Solo, der auf seinen Vater zuging, vor ihm auf die Knie fiel, mit den Fäusten auf ihn einschlug und ihn anschrie. Dass er Träume gehabt hatte, dass er immer dieses Gefühl gehabt hatte, dass etwas nicht stimmte … aber ich hörte nicht mehr hin. Ich zog das Handy aus meiner Hosentasche, langsam, Zentimeter für Zentimeter, immer den Blick auf Tobias gerichtet, dessen gesamte Aufmerksamkeit jetzt seinem Bruder und seinem Vater galt. Eine seltsame Ruhe breitete sich in mir aus. Ich war seit neun Tagen ununterbrochen von unsichtbaren Kameras überwacht worden und jetzt, wo ich den Raum mit einem Mörder teilte, der mir mit größter Wahrscheinlichkeit ebenfalls etwas antun würde, wenn er merkte, was ich vorhatte, fühlte ich mich trotzdem sicherer als zuvor. Die Kameras hatte ich nie gesehen. Sie waren unsichtbar gewesen. Aber Tobias konnte ich sehen. Er war eine Gefahr, die ich einschätzen konnte – während er mich nicht mehr wahrzunehmen schien. Er war ganz auf Solo und seinen Vater konzentriert. Ich klappte das Handy auf, schielte kurz auf das Display, klickte auf Anruflisten , sah zu Tobias und wieder auf das Display. Klickte auf Gewählte Rufnummern , bis die vorhin von mir gewählten Ziffern aufleuchteten. Sah wieder zu Tobias, klickte rechts unten auf die grüne Wahltaste. Wartete. Hielt die Hand mit dem Handy hinter meinen Nacken, ließ meine Haare darüberfallen, legte den Kopf schräg, lauschte, hörte ein leises Klingeln, versuchte, Solos Geschrei in den Hintergrund zu drängen und mich ganz auf dieses Geräusch zu konzentrieren, hörte eine Stimme, leise, so leise, dass ich sie nicht erkennen konnte, und murmelte: »This is Vera. Vera Marcondes. I am with Quint Tempelhoff. German Director. Filmproject in Brasil. Isola. Small island by Angra dos Reis. SOS. Help!«
    Panisch hielt ich inne, weil Tobias zu mir herumfuhr, die Stirn runzelte, sich dann aber wieder Solo zuwandte, der immer noch auf seinen Vater einschrie. Ich hörte die leise Stimme aus dem Handy, verstand kein einziges Wort, dann war die Stimme ruhig und ich sagte: Cuidem dela. Cuidem de minha irmã caçula. Ela não pertence à este lugar.«
    Das war der Satz, den meine Schwester vor vierzehn Jahren zu meinen Adoptiveltern gesagt hatte. Ich wusste nicht, wer ihn jetzt hörte. Ich wusste nicht, ob ihn überhaupt jemand gehört hatte. Was ich tat, war der reinste Irrsinn. Aber es war das Einzige, was ich tun konnte. Dann klappte ich das Handy zu, ließ es hinten in meinen T-Shirt-Ausschnitt fallen und erstarrte, als Tobias jetzt wieder die Stirn runzelte und auf mich zukam. In seiner Hand blitzte das Messer.
    »Das Handy«, sagte er. Seine Stimme war immer noch heiser, aber darunter lag eine schneidende Schärfe. »Wo ist das Handy?«
    Ich sagte nichts. Das Handy war in meinem Rücken und es vibrierte. Es schlug rhythmisch wie ein nacktes Herz gegen meine Rückenwirbel und ich presste mich an die Wand, so fest ich konnte, bis das Vibrieren nachließ. Aber das würde mir nichts nützen. Wenn Tobias das Handy aufklappte, dann würde er feststellen können, dass ich jemanden angerufen hatte – und dass mich womöglich dieselbe Person gerade zurückgerufen hatte.
    Ich würgte.
    Tobias hielt das Messer vor meine Brust, seine Knöchel krampften sich um den Griff, ganz weiß traten sie hervor. »Das Handy«, sagte er noch einmal. »Gib es mir. Ich werde vor nichts zurückschrecken, Vera. Also gib – mir – das Handy.«
    Das Zimmer fing an, sich zu drehen, als ich meine Hand hinter den Rücken schob und das Handy aus meinem T-Shirt herauszog.
    Solo und sein Vater waren still geworden, sie sahen zu uns herüber, Solo schüttelte verwirrt den Kopf und machte einen Schritt auf mich zu, aber Tobias fuhr blitzschnell herum. »Eine falsche Bewegung und es gibt noch eine Tote.« Er hielt mir seine ausgestreckte Hand hin. Mit einem tiefen Atemzug legte ich das Handy hinein. Dann schloss ich die Augen.
    »Na so was«, sagte Tobias nach einer kleinen Ewigkeit. »Akku leer. So ein Pech aber auch. Da hätte ich ja gar keinen Wirbel machen müssen. Etwas dagegen, wenn ich es trotzdem
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