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Isabelle

Isabelle

Titel: Isabelle
Autoren: Felix Thijssen
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fragte höhnisch: »Du wirst doch wohl in den vier Jahren, die du hier arbeitest, mal etwas von Verhandeln gehört haben?«
    Beinahe wäre er darauf eingegangen, sagte aber dann: »Warum fährst du nicht nach Hause? Du hast doch bestimmt Angenehmeres zu tun, als dich hier wegen nichts und wieder nichts aufzuregen.«
    »Angenehmeres?«, fragte sie eisig. »Mit den Kindern spielen vielleicht?«
    Schon bevor sie das Gebäude verlassen hatte und wieder in ihrem Mercedes saß, bereute Judith ihre Bemerkung. Schließlich konnte Ben nichts dafür, dass er unfruchtbar war.
    Manchmal verfluchte sie sich selbst wegen dieses stets einsatzbereiten Stachels, den sie in sich trug und mit dem sie viele Dinge zerstörte, bar jeder Logik oder Vernunft. Zuzustechen gehörte einfach zu ihrer Natur; sie war wie ein Skorpion, der den Frosch stach, der mit aller Kraft versuchte, ihn über den Fluss zu bringen – und dabei selbst ertrank. Tief in ihrem Herzen liebte sie Ben noch genauso wie vor vier Jahren, als sie vor ihm dahingeschmolzen war wie ein Backfisch. Ben war zwölf Jahre älter als sie und etwas ganz Besonderes. Eine Aura von Abenteuer umgab ihn, und es schien, als sei alles an ihm großartiger und auch mysteriöser als bei anderen Männern.
    Judith parkte im Zentrum und kaufte in der neuen Boutique von Claire Chevalier ein weinrotes Ensemble. Die Farbe passte gut zu ihrem blonden Haar. Sie betrachtete sich kritisch in dem großen Spiegel und lauschte den beifälligen Worten der Verkäuferin. Der wadenlange Rock fiel bis knapp über ihre modischen Stiefeletten, die Jacke war raffiniert geschnitten und verlieh ihr die Eleganz eines Mannequins. Sie besaß glatte Waden, schöne Beine.
    Sie kontrollierte ihr Gesicht und ärgerte sich über die verräterischen Fältchen um Augen und Mund, die wohl kaum durch Lachen entstanden sein konnten. Ihr Gesicht schien magerer zu werden, wodurch ihre Wangenknochen stärker hervortraten. Vielleicht kam es vom Sherry. Vielleicht wurde sie auch einfach älter und genauso fleischlos und sehnig wie ihre Mutter. Ihre Zeit verstrich, sie war sechsunddreißig. Sie ging auf die vierzig zu, wie Ben manchmal spöttisch bemerkte, wenn er fand, sie benehme sich kindisch.
    Judith stellte das Auto vor der Garage ab und ließ die Schachtel mit dem Kostüm von ihrem Chauffeur und Hausangestellten Johan vom Rücksitz nehmen. »Sie können den Wagen ruhig reinsetzen«, sagte sie. »Ich brauche ihn nicht mehr.«
    »Soll ich Mary Bescheid sagen, dass sie den Lunch …«
    »Nein danke, ich bin bei meiner Mutter.«
    Sie wohnten in einer riesengroßen Backsteinvilla mit azurblau gedeckten, verschieden abgestuften Dächern, die von einem einen Hektar großen Grundstück umgeben war. Als sie Ben geheiratet hatte, hatte ihr Vater für ihre Mutter und sich einen Flügel anbauen lassen, sodass Ben und ihr die eigentliche Villa zur Verfügung stand. Zudem war hinter der Villa ein Swimmingpool von acht mal zwölf Metern angelegt worden, den Johan im Sommer jeden Tag mit Hilfe von Pumpen, Filtern und Chemikalien in Schuss hielt, in dem jedoch nur selten jemand schwamm. Das alles war natürlich für die Enkelkinder gedacht.
    Für ihren Vater war Ben so etwas wie ein verloren geglaubter jüngerer Bruder gewesen. Sie ähnelten sich. Im Grunde seines Herzens hätte Bram Colijn nichts dagegen gehabt, wenn er ein kleiner Dorfschmied mit ein oder zwei Angestellten geblieben wäre, mit genügend Freizeit zum Angeln und ohne die Probleme eines Betriebs mit Millionenumsatz am Hals. Wenn ihre Mutter nicht so ehrgeizig gewesen wäre, hätte er niemals die alte Fabrikhalle gekauft, mit der vor vierzig Jahren alles angefangen hatte.
    Judith wusste genau, dass sie ihrer Mutter glich. Im ersten Jahr, als sie noch in der Lage gewesen waren, normale Meinungsverschiedenheiten auszutragen, hatte Ben oft versucht, ihr klar zu machen, dass es wichtigere Dinge gab als gesellschaftliches Ansehen, Make-up, schöne Kleider und den ewigen Wettlauf um mehr Reichtum und Macht. Doch Judiths gesamte Existenz drehte sich um nichts anderes als um die Befriedigung ihres Geltungsdrangs in der High Society: um die guten Beziehungen zu Bankiers und Industriellen, um den Lionsclub und den Golfclub, die Lunchs mit den Damen und darum, im Wohlfahrtskomitee über eine neue Wasserpumpe für ein Dorf in Bangladesch zu beraten. Noch nicht einmal Kinder, falls sie die jemals bekommen sollten – was allerdings nicht wahrscheinlich war – würden daran etwas
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