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Irrfahrt

Irrfahrt

Titel: Irrfahrt
Autoren: Gerhard Grümmer
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Nach einigen Stunden hatten sie endlich zwei Krähen zur Strecke gebracht.
    Beim Rückweg trafen sie auf eine Arbeitskolonne, die von einem Posten bewacht wurde. Die Männer sahen elend aus. Sie trugen dünne, blau-grau gestreifte Anzüge und waren damit beschäftigt, Blindgänger vom letzten Scharfschießen auf dem Exerzierplatz auszubuddeln.
    Neugierig traten die Schüler näher. Der Posten rief ihnen zu, sie sollten Abstand halten, so ein Blindgänger könnte auch explodieren.
    Ein Arbeiter, der nur wenige Schritte von ihnen entfernt stand, machte heimlich eine Handbewegung, die das Rupfen der Vögel andeutete.
    Die drei schauten sich fragend an. Dann zogen sie sich zur Beratung an den Waldrand zurück. Wer konnten diese Menschen sein? Insassen des Gefängnisses waren es nicht, die hatten dunkelgrüne Jacken mit nur einem weißen Längsstreifen auf dem Rücken. Also Kriegsgefangene! Aber Kriegsgefangene müßten doch Uniform tragen... Wenn es wirklich Arbeiter waren, warum bewachte man sie? Warum waren sie so dünn und klapprig?
    Heinz faßte sich als erster. «Klar, die haben etwas ausgefressen, ob sie nun aus dem Zuchthaus kommen oder sonstwoher. Auf keinen Fall kriegen die unsere schönen Krähen!»
    Helmut sagte zunächst gar nichts. Er starrte zu den Männern hinüber, an denen alles ungewohnt und merkwürdig war: die Kleidung, die Schweigsamkeit, mit der sie ihre gefahrvolle Arbeit verrichteten.
    Gerhard überlegte. «Klar ist auch, daß sie Hunger haben. Mit den toten Viechern können wir sowieso nichts anfangen.»
    Schließlich einigten sie sich darauf, ihre Jagdbeute zu opfern. Dabei gab weniger Mitleid den Ausschlag als die Lust am Verbotenen, am Abenteuer, und die Absicht, sich gegenüber den anderen Gruppen hervorzutun.
    Die Aktion verlief reibungslos. Heinz und Gerhard gingen zu dem Posten und zogen ihn in ein Gespräch. Während ihm der ein Meter sechsundachtzig große Gerhard die Sicht versperrte, warf Helmut dem Blau-Grau-Gestreiften beide Tiere zu, die schnell unter der weiten Jacke verschwanden.
    Die Hauptfrage aber war noch immer offen. Nur einer konnte die Antwort wissen - Dr. Vetter. Von ihm hörten sie das selten und mit scheuer Vorsicht ausgesprochene Wort: Konzentrationslager. In unmittelbarer Nähe der Stadt war die Nebenstelle eines solchen Lagers errichtet worden. Die Männer auf dem Exerzierplatz gehörten zu den Häftlingen.
    Beklommen verabschiedeten sich die drei Freunde. Sie hielten es für besser, von dem Vorfall nichts zu erzählen, weder zu Hause noch in der Schule.
     
    Neue Ereignisse bewirkten, daß die Krähengeschichte in Vergessenheit geriet.
    An einem Sonntagvormittag holte Heinz seine Freunde zusammen. «Wißt ihr, wen ich eben getroffen habe?» rief er aufgeregt. «Günther Tetzlaff ist hier, er hat Urlaub. Er war doch früher auf unserer Penne. Jetzt ist er Leutnant zur See und fährt auf einem Dickschiff. Natürlich habe ich ihm von unseren Plänen erzählt. Für heute nachmittag lädt er uns ein!»
    Helmut und Gerhard waren begeistert. «Von dem können wir bestimmt eine Menge erfahren!»
    Pünktlich fanden sich die Freunde in der Konditorei am Markt ein. Wenig später erschien Tetzlaff in seiner schmukken dunkelblauen Uniform und gab ihnen leutselig die Hand.
    Die drei wagten kaum zu atmen. Sie bewunderten den Leutnant über alle Maßen und erwarteten Heldentaten von ihm.
    Tetzlaff fuhr auf der «Gneisenau». Vor einem Jahr, im April 1940, hatte er das Gefecht mit dem britischen Schlachtkreuzer «Renown» miterlebt. Nach seiner Darstellung erhielt dabei die «Gneisenau» einen schweren Treffer in den vorderen Artillerie-Leitstand.
    Die drei blickten sich überrascht an. Das war immerhin eine wichtige Sache. Der Wehrmachtbericht, darauf hätten sie schwören können, hatte nichts dergleichen erwähnt.
    Überhaupt schien die Besetzung Norwegens, besonders der Kampf um den Erzhafen Narvik, für die deutsche Kriegsmarine ziemlich ungünstig verlaufen zu sein. Tetzlaff sprach von den katastrophalen Verlusten der Zerstörerflottillen und behauptete sogar, der im Oslofjord gesunkene funkelnagelneue schwere Kreuzer «Blücher» sei noch gar nicht gefechtsbereit gewesen.
    Auch das war den Zuhörern neu. Betroffen senkten sie die Köpfe, und ihre Mienen hellten sich erst auf, als Tetzlaff von seiner zweiten Norwegenfahrt im Juni 1940 berichtete. Diesen erfolgreichen Einsatz, an dem auch das Schwesterschiff «Scharnhorst» teilnahm, hatten sie in Presse und Rundfunk genau
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