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Irgendwo dazwischen (komplett)

Irgendwo dazwischen (komplett)

Titel: Irgendwo dazwischen (komplett)
Autoren: Anne Freytag
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als mein Aussehen. Und Clemens
wäre sicherlich in erster Hinsicht nicht an meinem gewinnbringenden Wesen
interessiert, sondern daran, seinen Hormonspiegel zu regulieren. Oder sich vor
Prostatakrebs zu schützen. Verdammt. Triebe oder Vernunft. Freud hatte mit
seiner blöden Über-Ich-, Ich- und Es-Geschichte vielleicht doch nicht ganz
unrecht. Ich finde zwar, dass er mit seinem Alles ist ein unbewusster Wunsch ein bisschen weit geht, aber das Bild der drei Streithähne in einem Kopf ist
nicht schlecht. Bei mir sieht es so aus: Mein Über-Ich und Ich haben sich
verbündet und gehen auf mein Es los, weil mein Es eindeutig die Spannung wählt.
Und Clemens ist spannend. Und weil mir dieser Streit echt auf die Nerven geht,
habe ich beschlossen, dass ich einfach nichts tun werde. Wenn aber Clemens auf
mich zukommt, dann ist er ohnehin nicht an Lili interessiert und dann werde ich
nicht nein sagen. Und weil ich davon ausgehe, dass Clemens nicht den Arsch in
der Hose hat, um mich anzusprechen, sind mein Über-Ich und Ich mit dieser
Lösung auch zufrieden.
    „Kommst du mit in die Mensa?“, frage ich Lili, als zum ersten Mal
der Gong ertönt. Sie schüttelt den Kopf.
    „Nee. Ich bleib lieber hier. Wir kommen zum Schröder immer zu
spät.“ Ein bisschen beleidigt gehe ich in Richtung Mensa. Allein. Normalerweise
begleitet mich Lili immer. Na, dann eben nicht. Ein paar Leute drängeln sich um
die Theke. Es sind immer dieselben. Die Zuspätkommer . Zu denen gehöre
ich auch. Und heute gesellt sich einer zu uns, der sonst nicht mit von der
Partie ist. Clemens. Und auch, wenn das nicht zu meinem Image passt, ihn zu
sehen, macht mich nervös.
    Nachdem ich mir eine Butterbreze und ein Spezi gekauft habe,
schlendere ich in Richtung Ausgang. Insgeheim hoffe ich, dass Clemens mir
folgen wird. Doch dann frage ich mich, was ich davon hätte. Außer einen Haufen
Ärger natürlich. Ich wüsste noch nicht einmal, was ich zu ihm sagen sollte.
Also beschleunige ich mein Tempo und mache mich davon. Und in dem Moment, als
die Erleichterung die Enttäuschung gerade fast überwiegt, höre ich jemanden
meinen Namen rufen. Ich drehe mich um, und da steht er. Er wirkt fast ein wenig
schüchtern, so als wäre auch er nervös. Ich frage mich, ob man mein Herz sieht,
wie es panisch gegen meine Rippen springt.
    Langsam kommt er näher und mit jedem Schritt, den er näher kommt,
schwitzen meine Hände ein bisschen mehr. „Hallo Emma...“ Seine Stimme klingt
weicher, als ich sie mir vorgestellt habe.
    „Hallo...“ Im Gegensatz zu seinem Hallo klingt meines unterkühlt.
Ich wünschte, es hätte sich etwas herzlicher angehört.
    „Ich will dich nicht aufhalten“, entgegnet er sichtlich irritiert.
Als ich nicht reagiere, fährt er fort. „Ähm, ich wollte dich fragen, ob du,
ähm, vielleicht Lust hättest...“ Ich hätte nie gedacht, dass Clemens
meinetwegen stottern würde. Seine Unsicherheit gibt mir Selbstvertrauen.
    „Ob ich Lust auf was hätte?“, frage ich mit einem Lächeln im
Gesicht.
    „Na ja...“ Er wird rot. „Willst du mit mir ausgehen?“ Ich starre
ihn an. Er hat tatsächlich gefragt. In seinem Blick Erwartung gepaart mit der
Angst vor Ablehnung, die er sicher nicht gewöhnt ist. Warum stelle ich mich so
an? Ich habe schließlich Lust. Und Lili würde dasselbe tun. Ich meine, diese
albernen Schwüre, dass Freundschaft über alles geht. Kompletter Schwachsinn.
Und was kann ich dafür, wenn er sich für mich interessiert und nicht für sie.
Je länger ich ihn anstarre, desto ängstlicher sieht er aus. Ich muss etwas
sagen. Aber was? Was, wenn Lili nicht dasselbe tun würde? „Also, wenn du nicht
willst, dann sag es mir bitte...“
    „Doch, doch, ja...“, unterbreche ich ihn, „...also ich meine, ich
habe Lust...“ Noch nie habe ich gesehen, dass ein Gesichtsausdruck sich so
schnell so drastisch verändern kann. Wo eben noch die Angst die Oberhand hatte,
ist nun ein breites Grinsen, in seinen Augen der Triumph. So als wäre ich eine
überaus leckere Beute und er der Jäger, der mich nun endlich erlegt hat. Oder
zumindest am Bein erwischt. Und auch wenn es nur ein Streifschuss war, er hat
mich. So oder so.
    Es ärgert mich, dass ich gestottert habe. Ich habe meine
Überlegenheit aufgegeben und ihm gezeigt, dass ich empfindsam bin. Und dafür
war es eindeutig zu früh. „Es kommt natürlich darauf an, wohin du mich
ausführen willst“, versuche ich meine Position zu retten. Und es funktioniert.
Denn das breite Grinsen
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