Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Inspektor Jury spielt Domino

Inspektor Jury spielt Domino

Titel: Inspektor Jury spielt Domino
Autoren: Martha Grimes
Vom Netzwerk:
blödsinnige Jagdleidenschaft konnte er nicht nachempfinden. Wahrscheinlich war sie auch die Basis seiner Freundschaft mit Titus Crael gewesen. Melrose Plant war Sir Titus Crael vielleicht vor dreißig Jahren das letzte Mal begegnet. Er erinnerte sich nur noch an den Tag, an dem er mit ihm zusammen junge Füchse gejagt hatte, eine große, imposante Gestalt, die neben ihm stand und einen toten Fuchs in den Händen hielt. Sie vollführten dieses gräßliche Ritual der Bluttaufe, und zu Melroses Entsetzen waren die von dem Blut des Fuchses triefenden Hände über sein Gesicht gefahren; er war damals gerade zehn Jahre alt gewesen.
    Wo war das gewesen? Er konnte sich nicht mehr erinnern. Irgendwo in den Shires? Rutland vielleicht? Oder hier in den Mooren von Yorkshire? Er sah noch die Bluttropfen im Schnee vor sich. Nach dieser Erfahrung hatte er jedenfalls nichts mehr vom Jagen wissen wollen.
    «Gar nicht übel, dieses alte Haus.» Wieder riß ihn Agatha aus seinen Träumereien. «Dürfte heute einiges wert sein. Die Decke ist von Adam.»
    Melrose hatte eingehend die zarten Pastellfarben und den Stuck studiert. «Eine Imitation.» Decken waren sein Steckenferd. In Ardry End, seinem eigenen Haus, kannte er jeden Zentimeter Decke. Das kam davon, weil er immer hochstarrte, wenn seine Tante zu Besuch war.
    «Die Teller sind Crown Derby. Und der Tisch ein besonders hübscher Sheraton», sagte Agatha.
    Melrose beobachtete, wie ihre flinken Äuglein den ganzen Raum absuchten und dabei jede Staffordshire-Porzellanfigur, jede Lackarbeit und jedes Kameenglas erfaßten – wahrscheinlich funktionierte ihr Gehirn wie eine Registrierkasse, die alles zusammenzählte. In ihrem früheren Leben war sie bestimmt Auktionator gewesen.
    «Hast du gesehen, wie groß der Ring war, den Teddy heute morgen getragen hat? Was ist das eigentlich für ein Stein, was denkst du?»
    Melrose schlug wieder die erste Seite seiner Zeitung auf. «Ein Gallenstein.»
    «Du kannst es einfach nicht ertragen, wenn jemand mehr hat als du, stimmt’s?» Sie schaute auf die Kuchenplatte. «Dieser Butler soll kommen; die Brandy-Snaps sind alle.» Sie zog an einem Klingelzug. Dann schüttelte sie die Kissen auf und ließ sich wieder zurücksinken. «Ich hatte keine Ahnung, daß Teddy eine so gute Partie gemacht hat, als sie seine Frau wurde. Was hier rumsteht, kann sich mit deinen Sachen auf Ardry End durchaus messen.»
    «Du meinst, indem sie Witwe von Harries-Stubbs wurde?»
    «Wie kaltblütig, Melrose. Aber es ist wohl zu erwarten, daß du so über die Ehe denkst.»
    Er ließ sich nicht auf eine Diskussion über dieses Thema ein. Er hatte wenig Hoffnung, jemals diesem undefinierbaren, weiblichen Wesen zu begegnen, dem er sowohl Ardry End wie auch seine eigene Person anvertrauen könnte. Agathas Sorge galt natürlich nur Ardry End. Es machte ihr Spaß, das Terrain zu sondieren und dabei alte Erinnerungen und die Namen von Frauen auszugraben, die er einmal gekannt hatte, Leichen, mit denen sie seinen Weg pflasterte und über die er, wie sie hoffte, auch einmal stolpern würde – er würde sich verplappern und ihr den Namen einer heimlichen Geliebten verraten, die ihr, seiner einzigen Verwandten, Ardry End streitig machen konnte –, Ardry End mit seinen Robert-Adam-Decken, seinen frühgeorgianischen Möbelstücken, seinem Meißener Porzellan und den Baccarat-Gläsern. Wieso sie überhaupt auf den Gedanken kam, ihn einmal zu beerben, war Melrose nicht klar. Sie war bereits über sechzig und Melrose gerade einundvierzig, trotzdem schien sie es für ausgeschlossen zu halten, daß er sie überleben könnte. Der Wunsch war offensichtlich der Vater des Gedankens.
    «Ob Vivian Rivington wohl jemals wieder aus Italien zurückkommt?»
    Auch einer ihrer Seitenhiebe.
    Melrose antwortete jedoch nicht, weil eine Schlagzeile auf der ersten Seite der York Mail seine Aufmerksamkeit gefesselt hatte.
    Ein Mord in Rackmoor.
    Dem Bericht zufolge war in einer verlassenen Gasse die Leiche einer verkleideten Frau gefunden worden. Die Polizei von Yorkshire rechnete damit, den Täter bald gefaßt zu haben (was bedeutete, daß sie noch völlig im dunkeln tappte). Das Opfer war angeblich mit Sir Titus Crael – dem Parlamentsmitglied und prominenten Jäger, einem der reichsten und einflußreichsten Männer von Yorkshire – verwandt.
    Eine Verwandte von Sir Titus – Melrose sah sich vor eine schwierige Entscheidung gestellt. In einem so kritischen Augenblick wie diesem bei den Craels
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher