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Inspektor Jury küsst die Muse

Inspektor Jury küsst die Muse

Titel: Inspektor Jury küsst die Muse
Autoren: Martha Grimes
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entsprang.
     
    Drum dank ihm nicht, bezahl nicht Huld
    mit Huld; du hast geschenkt – er bleibt in deiner Schuld.
     
    «Sehen Sie, was ich meine? ‹Und andre schreiten schon auf meinem Pfade› et cetera. Schauen Sie sich das genau an und sagen Sie dann ja nicht, Shakespeare sei nicht in der Lage gewesen, Marlowe die Augen auszustechen. Das heißt natürlich nicht, daß Shakespeare sich selbst die Hände schmutzig gemacht hat. Er ließ Nick, Skeres und Frizer die Dreckarbeit machen –»
    «Das waren doch Walsinghams Männer, Himmel noch mal, nicht Shakespeares.»
    «Aber Billy-Boy hat sie gekannt; ich meine, all diese Burschen haben einander gekannt.»
    «Wie wollen Sie das beweisen –?»
    Harvey war jedoch zu sehr damit beschäftigt, seinen Computer zu füttern und das kleine, weiße Quadrat herumzujagen, um auf Melroses zaghafte Fragen zu achten. «Wenn Sie das letzte Sonett nicht überzeugt hat, dann schauen Sie sich noch mal dieses an.»

In siegessicherem Kurs auf deinen Wert,
    was mir zerstört hat reifende Gedanken,
    zur Gruft verkehrt den Schoß, der sie gebärt?
    War es sein Geist, der, mehr als Menschen ahnen,
    von Geistern mitbekam, was mich verdorrt?
     
    «Was halten Sie davon? Und schauen Sie sich das ‹was mich verdorrt› an. Offen gestanden würde es mich nicht wundern, wenn Will Shakespeare versucht hätte, Kit Marlowe zu erwischen, bevor Kit ihn erwischte. Ich frage mich, was ‹zur Gruft verkehrt› wohl bedeutet», fügte er müßig hinzu.
    Sein Gegenüber schien allen Ernstes zu glauben, Christopher Marlowe sei umgebracht worden, weil Shakespeare Angst hatte, seinerseits von ihm umgebracht zu werden. Melrose hatte das Gefühl, er müsse sich mit Schoenberg duellieren oder sonst etwas. Ihm einfach mit dem Handschuh ins Gesicht schlagen und ihm die Wahl der Waffen überlassen.
    «Und dann gibt es da noch ein Sonett, das wie eine Selbstmorddrohung aussieht – soll ich es mal aufrufen –»
    «Nein, vielen Dank, rufen Sie nichts mehr auf. Ich habe noch eine Verabredung und bin schon viel zu spät dran –»
    «Du lieber Himmel, nicht noch einen Drink auf die schnelle?»
    «Nur ein Schierlingsbecher könnte mich zum Bleiben veranlassen, Mr. Schoenberg.» Er besann sich jedoch auf seine gute Erziehung und rang sich ein frostiges Lächeln ab.
    «Harv. Oh, das ist gelungen. Ich hab Sie ganz schön in Fahrt gebracht, was? … Na ja, wundert mich nicht. Ich meine, die Welt ist einfach noch nicht bereit für meine Theorie. Aber glauben Sie mir, in diesem Schätzchen hier hab ich sämtliche Beweise.» Er tätschelte den Ishikabi. Als Melrose nach seinem Spazierstock griff, sagte Harvey Schoenberg: «Sehen Sie sich heute abend Hamlet an?»
    Melrose getraute sich kaum, darauf zu antworten: «Ich denke schon.» Er und Jury hatten zwei Parkettplätze.
    «Sollten Sie sich auch nicht entgehen lassen. Es gibt da alle möglichen Hinweise … es ist nämlich ein Rachedrama.»
    «Tatsächlich?»
    «Sind sie alle. Also Kyd – ich meine Tom Kyd – war ein guter Freund Marlowes; dazu kann ich nur sagen: Bei solchen Freunden – wer braucht da noch Feinde.» Schoenberg winkte ihn zurück. «Kommen Sie, setzen Sie sich einen Augenblick, ich möchte Ihnen was zeigen.»
    Melrose verspürte eine schreckliche Faszination, als hätte ihn das Schlangenauge des Computers hypnotisiert, und setzte sich wieder.
    Harvey tippte auf der Tastatur herum und sagte: «Können Sie sich das vorstellen? Daß Kyd solche Dinge von Marlowe sagt?»
     
    … unter den wertlosen, nichtigen Schriftstücken (an denen mir nichts lag) & die ich ausgehändigt habe, wurden die Fragmente eines Streitgesprächs gefunden, in denen Marlowe diesen, ausdrücklich als den seinen bezeichneten Standpunkt vertrat. Darunter befanden sich auch Papiere von mir (mir selbst unbekannt), die vor zwei Jahren entstanden sein müssen, als wir zusammen in einer Kammer schrieben … Daß ich mit einem so gottlosen Mann verkehrte oder befreundet war, mag sonderbar erscheinen … er war maßlos & von großer Grausamkeit … ein Atheist …
     
    «Natürlich darf man nicht außer acht lassen, daß Kyd diese Aussage gegen Marlowe unter der Folter gemacht hat –»
    Melrose, für den nun Folter kein Fremdwort mehr war, erhob sich. «Das war äußerst aufschlußreich, Mr. Schoenberg.»
    «Harv. Kyd schrieb Die Spanische Tragödie –»
    «Ist mir bekannt», sagte Melrose eisig.
    Harvey Schoenberg seufzte: «Wie ich schon sagte, wenn man eines kennt, kennt man sie alle.
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