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Ins Eis: Roman (German Edition)

Ins Eis: Roman (German Edition)

Titel: Ins Eis: Roman (German Edition)
Autoren: Karen Nieberg
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streichelt seine Haut, ihre Zunge folgt, und das Wechselspiel aus Kälte und warmer Feuchtigkeit lässt ihn anschwellen. Er greift mit beiden Händen in ihr Haar. Sie blickt zu ihm auf, in der Hocke vor ihm, ihre Augen strahlen. Dann stößt sie ihn. Rückwärts fällt er in den aufgestauten Tümpel hinter sich. Das Wasser spritzt über seinem Gesicht zusammen. Er fängt den Sturz mit den Armen ab, springt sofort wieder auf, aber das Wasser ist schneller. Der Schrecken treibt ihm das Blut aus dem Gesicht.
    »Verdammt, Ingrid, was soll das?« Er steht da, am Flussufer, durchnässt bis auf ein paar Zentimeter trockenen Fleece an seinem Hals. Wasser tränkt seine Socken, Unterkleider, kühlt seine Haut herunter, nicht schleichend, sondern jäh.
    Ingrid ist zurückgewichen. Nicht mehr lächelnd. Jetzt hält sie das Gewehr in den Händen, entsichert. Seinen Rucksack hat sie hinter sich geschleudert, ebenso seine Jacke. Der Wind greift in seine Haare, schmelzender Schnee fügt seine Feuchtigkeit der des Flusses hinzu, dunkelt die kurzen, von Silber durchzogenen Strähnen.
    Er versteht nicht. Langsam tritt Ingrid ein paar Schritte zurück. Sie sagt ihm, er solle sich nicht bewegen. Sie fragt ihn noch einmal. Ob er denn nicht glauben könne, dass sein Vater ihren Vater getötet habe. In der Mine damals. Um sein eigenes Leben zu verlängern.
    Er steht da und schüttelt den Kopf. »Gib mir meinen Rucksack, Ingrid. Und meine Jacke!«
    Sie steht da und erzählt ihm die ganze Geschichte. Ein weiteres Mal. Gestern, da hat sie ihm dasselbe erzählt. Er hat sie fortgeschickt. Das Notizbuch, mit dem sie meinte, ihn überzeugen zu können, ließ sie ihm da, obwohl er ihr sagte, er wolle es nicht. Sie redet langsam. Die Gewehrmündung zielt auf sein Herz. Hinter ihm donnert der Fluss über Steine hinweg, und der Wind kreischt sein Lied dazu.
    Der Schrecken, die Angst. Kurz haben sie ihm eingeheizt. Jetzt lässt die Wirkung nach. Er beginnt zu zittern. Er schlägt die Arme um sich, bittet erneut um seine Jacke. Der Schneefall beeinträchtigt die Sicht. Ingrids Gestalt ergraut im finster werdenden Tag, bald wird sie ein Schemen sein, der ihn verfolgt.
    Endlich sagt sie ihm, dass er gehen kann. Fort von seiner Jacke. Fort von seinem Rucksack mit den Ersatzkleidern, Biwaksack und Notsender. Er stolpert los. Nach zwanzig Schritten dreht er sich um. Sie steht dort, wo er ins Wasser gestürzt ist, und taucht seine Jacke ins Nass. Sie richtet sich wieder auf, merkt, dass er stehen geblieben ist. Sie legt das Gewehr auf ihn an.
    Er fährt herum und rennt los.

Über die Entstehung dieses Romans – der Bericht einer Reise
    Nehmen Sie sich einen Moment und konsultieren Sie Ihren Globus oder Weltatlas. Suchen Sie den skandinavischen Löwen, das Nordkap und fahren Sie von dort mit dem Finger immer weiter nach oben. Ungefähr auf halber Strecke zwischen dem Nordkap und dem Punkt, an dem die Welt endet, liegt eine Inselgruppe im Meer: Spitzbergen.
    In den letzten Jahren bin ich an verschiedene Enden der Welt gereist, aber ob Feuerland, Neuseeland, Alaska oder Grönland – niemals zuvor hat mich ein Ort so gefesselt wie dieser abgeschiedene Archipel weit jenseits des Polarkreises. Lange bevor ich überhaupt meinen Fuß auf Spitzbergen gesetzt hatte, hatte ich mir vorgenommen, einen Roman über die Arktis zu schreiben. Hundeschlitten sollten darin vorkommen, die harsche Natur des Nordens eine Hauptrolle spielen. Die erste Idee, ein Roman über die Zeit der frühen Expeditionen, verwarf ich wieder, ein zweites Konzept, ein Thriller auf Spitzbergen, ging nicht auf. Mein Abflugdatum nach Spitzbergen rückte immer näher, und mit Ausnahme der Idee von als Unfällen getarnten Morden während einer Hundeschlittentour fehlte der Geschichte noch weitgehend das Gerüst. Ich musste auf Eingebungen vor Ort hoffen.
    Im Flugzeug nach Longyearbyen ergab es sich, dass ich inmitten einer Gruppe gut gelaunter Männer aus London saß. Es waren Banker, die nach Spitzbergen flogen, um dort den runden Geburtstag eines Kollegen zu feiern. Ich weiß nicht, wie ihre Party ausging, aber immerhin kam meines Wissens keiner um.
    Meine Spitzbergen-Tour im Februar 2011 verlief ebenfalls ohne Mord und Totschlag. Ebenso ohne Familienfeier und Eisbärenbegegnungen. Dennoch ist der Roman ein Reisebericht. Die beschriebene Hundeschlittentour von Longyearbyen bis Tunabreen im Tempelfjord und zurück folgt weitgehend der Route meiner eigenen Tour. Die extremen Wetterwechsel von plus ein
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