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Ins Eis: Roman (German Edition)

Ins Eis: Roman (German Edition)

Titel: Ins Eis: Roman (German Edition)
Autoren: Karen Nieberg
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sie nur ein Paar und darunter Nylons. Die Wärme des Aufstiegs war verflogen, hatte sich mit dem abkühlenden Schweiß ins Gegenteil verkehrt. Sie blickte auf Fredrik hinab. Er zitterte nicht. So wie er jetzt auf dem Permafrost ruhte, so würden sie ihn finden.
    »Was wirst du tun?«, fragte sie am Ende von Ingrids Erzählung. Sie hatte der Geschichte gelauscht wie eine Fremde, oder als ob es ein anderer Film wäre, jenseits der Gegenwart. Irgendwann, falls sie leben würde, später, würde sie ihn herausnehmen, anhauchen und abspielen. Die Geschichte zu ihrem Ende bringen.
    Die Gewehrmündung beschrieb eine kleine Bewegung zum Hang hin. »Es abschließen, natürlich. Endlich. Ihr könnt jetzt vorangehen.« Ingrid wies ihnen den Weg, nicht steil nach unten, wie sie heraufgekommen waren, sondern quer zum Hang. Sie wolle nicht riskieren, dass Tim Fredrik auf dem Weg nach unten zu den Motorschlitten fallen ließe.
    »Wir nehmen ihn mit?« Die Hoffnung währte nur kurz.
    »Tim wird Fredrik für mich zu seinem Motorschlitten schaffen. Hier sind zu viele Spuren von euch. Außerdem habe ich kein großes Interesse daran, dass Fredrik hier oben bei der Mine gefunden wird. Die Vergangenheit hält zu viele Erklärungen bereit, nicht wahr? Selbstmord an einem Ort, wo einer seiner Söhne starb, wäre das dagegen nicht Poesie?«
    »Spar dir deinen Spott, sie werden auch so auf dich kommen«, sagte Kirsten.
    »Das erwähntet ihr bereits. Die Polizei hier ist gut, ohne Frage. Aber bislang haben sie keinen Anhaltspunkt, nicht wahr?«
    Kirsten und Tim schwiegen. Ingrid lachte. »Dachte ich mir doch. Es macht keinen Spaß, mit anderen über das Fremdgehen des eigenen Ehemanns zu sprechen.«
    »Täusch dich nicht, sie werden es herausfinden. Zu viele Leute wissen von damals.«
    »In diesem Fall werde ich eben den Preis für meine Rache bezahlen. Hast du geglaubt, ich wäre dazu nicht bereit? Ich bin weitergekommen, als ich je zu hoffen gewagt hätte. Und jetzt, Tim, sei so nett. Fredrik.«
    Ingrid trieb sie schräg zum Hang auf den konturlosen Resten der alten Straße hinab ins Tal. Nach hundert Metern flachte sich der Berghang ab, sie zogen in zwei Kurven schräg hinunter zum Talgrund. Kirsten lief mit dem eingeschüchterten Jonas an der Hand vorneweg. Tim folgte ihnen dichtauf, keuchend unter Fredriks Gewicht auf seinen Schultern, mehrmals musste er ihn absetzen und pausieren. Ingrid ging fünf Meter hinter ihnen, ihr eigenes Gewehr mit beiden Händen im Anschlag, Tims Gewehr auf ihrem Rücken. Sie zeigte selbst bei Tims Pausen keine Ungeduld, sondern gönnte ihm seine Minuten. Am Bergfuß angelangt befahl sie Tim, Fredrik neben dessen Schneemobil abzulegen, nicht jedoch ohne zuvor Fredriks Gewehr vom Sitz zu nehmen und es in sicherer Entfernung zu deponieren. Ihren eigenen Rucksack ließ sie neben dem Schneemobil zurück, das Röhrchen mit den Tabletten verstaute sie in einer Jackentasche. An Fredriks rechtem Ohr hatte sich die Haut rotblau zu verfärben begonnen; vergebens versuchte Tim, den Kragen von Fredriks Fleece ein paar Zentimeter höher zu ziehen. Gleichzeitig ertönte in der Ferne das Knattern von Motorschlitten. Beinahe einträchtig ruckten alle Köpfe in Richtung des Geräuschs. Vom Fjord aus war die kleine Einbuchtung, wo sie standen, nicht einzusehen, was bedeutete, wenn die Schneemobile nicht absichtlich das kleine Seitental ansteuerten, würden sie vorbeifahren. Kirsten richtete ihren ganzen Willen auf die unsichtbaren Fahrer, doch die Arktis scherte sich nicht um die verzweifelte Telepathie einer Gestrandeten. Das Motorengeräusch dauerte eine halbe Minute an, bevor es allmählich verebbte. Diesmal wies die kleine Bewegung, mit der Ingrid Tim und Kirsten den Weg anzeigte, in Richtung Fjord.
    Sie folgten der Biegung der Talmündung, wo mannshohe Verwerfungen und längliche Rücken die Sicht auf die freie Fläche verdeckten. Irgendwo unter ihren Füßen, verzweigt und unsichtbar, versüßte die Flussmündung das Salzwasser des Fjords. Der Schnee lag tief zwischen den Erhebungen, an manchen Stellen sackten sie bis zu den Knien ein, aber die unebene Landschaft erlaubte Ingrid einen Blick über den leeren Fjord, bevor sie ihre Deckung verließen und auf die offene Fläche des Eises traten. Mit wachsender Entfernung zum Ufer ließ die Schneetiefe nach, hier brauste der Wind, streckenweise scharrten Kirstens Sohlen über blankes Fjordeis.
    Dreißig Meter entfernt erwartete sie das Schimmern offenen Wassers.
    Sie näherten
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