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Indische Naechte

Titel: Indische Naechte
Autoren: Mary Jo Putney
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gefährlicher Ort für einen Mann, der das Leben unerträglich fand. Trotz bester Absichten war sein Untergang vorgezeichnet, wenn er nicht etwas — oder jemanden — fand, das oder der seine Gedanken von seiner Verzweiflung ablenken konnte.

Kapitel 4
    Das britische Verwaltungsgebäude war das größte Haus in Baipur. Der Union Jack hing schlaff von der davorstehenden Fahnenstange herab, und auf der Veranda lungerte die unvermeidliche Menge von Bittstellern und Schaulustigen herum. Alle sahen interessiert zu, als Ian abstieg. Jemand trat heran, um sein Pferd zu nehmen, während ein anderer hineinhing, um zu melden, daß ein unbekannter Engländer angekommen war.
    Als Ian die oberste Stufe der Treppe erreicht hatte, war bereits ein untersetzter Brite mittleren Alters herausgetreten, um ihn zu begrüßen. »Guten Tag. Ich bin George McKittrick, der Oberrichter.« Er streckte ihm die Hand entgegen und lächelte. »Was treibt Sie nach Baipur?«
    Ian hatte seine Uniform abgelegt, nachdem er sein Offizierspatent zurückgegeben hatte und sich noch nicht daran gewöhnt, Lord Falkirk zu sein, also sagte er gepreßt: »Mein Name ist Ian Cameron und ich suche nach Kenneth Stephenson. Ist er noch in Baipur?«
    McKittrick ging voran ins Innere des Gebäudes. »Tut mir leid, aber er ist gerade im östlichen Teil des Distrikts unterwegs. Er wird erst in einigen Wochen zurückkehren.«
    Also war seine Reise noch nicht zu Ende. »Eigentlich betrifft es mehr seine Stieftochter Larissa, oder vielleicht heißt sie auch Lara«, sagte Ian. »Wissen Sie, ob sie bei ihm ist?«
    McKittricks Brauen zogen sich zusammen. »Lara? Er hat eine Tochter — Laura. Ich nehme an, sie könnte auch seine Stieftochter sein, aber keiner von beiden hat es je erwähnt. Und ja, sie ist mit ihm unterwegs.«
    Wahrscheinlich hat das Mädchen seinem Namen einen englischen Anstrich verpaßt, dachte Ian. »Könnten Sie mir eine Karte des Distrikts geben und mir Stephensons Route nennen?«
    »Natürlich.« McKittrick gab einem einheimischen Beamten die Order, dann wandte er sich wieder zu Ian. »Es ist schon spät am Tag. Würden Sie meiner Frau und mir die Ehre erweisen, die Nacht bei uns zu verbringen?«
    Indien wurde manchmal das Land der offenen Tür genannt, denn ein Brite stieß überall auf Gastfreundschaft. Ian hatte sich zwar inzwischen soweit in der Gewalt, daß er nach außen hin den Anschein erweckte, es sei alles in Ordnung, fühlte sich aber dennoch nicht in der richtigen Stimmung, um einem Tisch voller Fremder freundlich gegenüberzutreten. »Tut mir leid — ich kann nicht bleiben. Ich muß Stephenson so schnell wie möglich finden, und ein paar Stunden Tageslicht habe ich ja noch.«
    Das Gesicht des Richters fiel in sich zusammen. »Wie schade. Meine Frau wird sehr enttäuscht sein. Wir sehen hier in Baipur nicht gerade häufig ein neues Gesicht.«
    Ian hatte ein leicht schlechtes Gewissen. Eine kleine Station wie Baipur beherbergte höchstens vier oder fünf britische Beamte und ein paar wenige Familienmitglieder, und wenn er blieb, würde das den gesellschaftlichen Höhepunkt des Monats bedeuten. r och sein Schuldgefühl war nicht stark genug, um seine Pläne zu ändern. Also sagte er nur: »Wenn ich auf diesem Weg zurückkehre, nehme ich gern Ihr Angebot an, aber heute muß ich wirklich weiter.«
    McKittrick stellte keine Fragen mehr, und innerhalb von fünfzehn Minuten war Ian wieder auf dem Weg. In der Nacht lagerte er im Freien, wie er es schon seit Cambay getan hatte. Wenn Stephenson sich an seinen Zeitplan hielt, sollte Ian ihn in einem Tag eingeholt haben. Dann konnte er Lara die Bibel überreichen, ein paar Erklärungen abgeben und am folgenden Tag wieder davonreiten.
    Er wußte, daß es keinen wirklichen Grund zur Eile gab, aber da er nun beschlossen hatte, nach Schottland zurückzukehren, hatte ihn eine fiebernde Ungeduld gepackt, sich endlich auf den Weg zu machen. Mit einer Einsicht, die er vor seiner Gefangenschaft nicht besessen hatte, erkannte er, daß er seine Obsession für Georgina durch die fixe Idee der Heimkehr ersetzt hatte. Nicht gerade der gesündeste Seelenzustand, dachte er mit einem Anflug schwarzen Humors, aber wenigstens verhinderte diese Besessenheit ein Abrutschen in den Wahnsinn.
    Als sie die Gabelung der staubigen Straße erreicht hatten, zügelte Laura ihr Pferd. »Ich kehre hier um, Vater. Wenn ich mit dir ins Dorf reite, dann werde ich in die offizielle Begrüßung miteinbezogen, und es dauert Stunden, bevor
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