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Indigo (German Edition)

Indigo (German Edition)

Titel: Indigo (German Edition)
Autoren: Clemens J. Setz
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Tommy sechs Jahre alt war, wanderte die Familie, überfordert von der Aussicht weiterer Tests und Interviewanfragen, nach Kanada aus. Julian trennte sich 2002 von seiner Frau und wohnt inzwischen wieder in Rochester. Er spricht nicht gerne über die Vergangenheit. Roberta Beringer und ihre drei Söhne wurden 2004 kanadische Staatsbürger. Sie leben sehr zurückgezogen, nehmen an der weltweiten Debatte um das Indigo-Phänomen nicht teil. Jeder Versuch, Tommy Beringer ausfindig zu machen, wird von der Mutter konsequent abgeblockt. Er ist in keinem Schulregister des Landes gemeldet, und eine Webseite mit seinem Namen, auf der hin und wieder Fotos eines Teenagers auf einem Fahrrad und kurze, pathetische Texte über das Weltall unddie Einsamkeit gepostet wurden, stellte sich als Scherz zweier College-Studenten aus Kalifornien heraus. *

    * Die britische Band The Resurrection of Laura Palmer benannte ihr zweites Studioalbum, The Beringer Tree, nach dem Jungen.

2  Robert Tätzel, 29, ausgebr.
    Man brachte ihm den Affen in einer Holzkiste. Die Kiste sah überhaupt nicht nach Labor oder Wissenschaft aus, sie war dunkel und wies einige hellere Flecken und Abwetzspuren auf. Es war schwer zu sagen, was normalerweise darin aufbewahrt wurde.
    Robert hatte die Staffelei fertig aufgestellt, die Farbtupfer auf der Palette (er bevorzugte eine kleinere, da zu viel Auswahl ihn lähmte) sahen aus wie ein von einem Planungskomitee entworfener Regenbogen. Alle Pinsel waren neu, vor fünf Minuten hatte er sie aus der Hülle genommen. Er liebte den Geruch jungfräulicher Pinsel.
    Das Bild, das er malen würde, war von eher kleinem Format. Dünnflüssige Farben auf dick aufgetragenem Untergrund. A thin paint will stick to a thick paint, hatte Bob Ross (die andere tiefe Stimme neben Adam West, die direkt mit Gott in Verbindung stand) auf der Lern-iVD gesagt.
    Der Affe machte ein Gesicht, als erkenne er Robert. Er streckte eine runzelige schwarze Hand nach ihm aus. Als die Hand nicht ergriffen wurde, führte er sie an seinen Mund und biss sanft hinein. Die Koordination seiner Armbewegungen bereitete dem Affen offenbar große Schwierigkeiten. Besonders seine linke Körperseite schien beeinträchtigt.
    – Was ist mit ihm?, fragte Robert, ohne von seiner Leinwand aufzusehen, den jungen Labortechniker, der das Tier gebracht hatte.
    – Er wird nicht mehr verwendet, lautete die Antwort.
    Der Techniker ging einmal um die Kiste herum, legte seine behandschuhte Hand auf den Rücken des Affen und kippte ihn nach vorne. Robert sah: Der Hinterkopf des Affen war kahlrasiert, und etwas, das wie ein winzig kleiner Wasserhahn aussah, ragte aus dem Schädel, komplett mit Drehverschluss und einer feucht glänzenden Mündung.
    – Wofür ist das?, fragte Robert.
    Er bemühte sich, seiner Stimme einen möglichst bewegten Ton zu verleihen. Das war nicht leicht, aber die Konzentration auf die Vorbereitung, die kleinen Drehungen des Pinsels, der sich mit Farbe vollsog, half ihm dabei.
    – Ein Notausgang, sagte der Labortechniker.
    Das Braun der Stirn war exquisit, eine seltene Nuance. Sie nachzubilden, sie unter all den Möglichkeiten der Farbmischung auf der Palette aufzuspüren würde sicher die nächsten Minuten in Anspruch nehmen. Nachdem er mehrere Brauntöne ausprobiert hatte, bemerkte er, was er tat, und er blickte zu dem Techniker, der gelangweilt oder verloren oder mit sich zufrieden oder in Erwartung irgendeiner größeren Katastrophe auf dem Bürostuhl saß.
    – Sie müssen nicht …, sagte Robert.
    Und deutete, weil er die Reaktion seines Satzes nicht abschätzen konnte, auf die Leinwand.
    Der Labortechniker neigte den Kopf zur Seite, als habe Robert etwas sehr Interessantes gesagt, über das er erst einmal nachdenken müsste.
    – Er hat sich an uns gewöhnt, sagte der Techniker schließlich. Das ist ganz normal bei Primaten. Die sehen allgemein keinen großen Unterschied zwischen verwandten Arten. Haben Sie den Umzug gestern mitgekriegt?
    Robert malte einen kleinen Farbtupfer auf seine linke Hand. Er betrachtete den Fleck und versuchte zu extrapolieren, welchen Eindruck die Farbe auf der Leinwand hinterlassen würde.
    – Nein, sagte er, ohne den Techniker anzublicken. Hab ich nicht gesehen.
    – Totaler Irrsinn. Herr …?
    – Tätzel.
    – Herr Tätzel. Ja, also totaler Irrsinn war das, ich meine, wir haben die Fenster zumachen müssen. Am schlimmsten waren dieseTröten. Wenn hundert Leute in so ein kleines Ding blasen, dann sprengt
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