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In sueßer Ruh

In sueßer Ruh

Titel: In sueßer Ruh
Autoren: C. E. Lawrence
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wertlos – oder, im Fall von Personen, als gefährlich. Ihr Bedürfnis, die Menschen in ihrem Leben zu kontrollieren, war tief verwurzelt, zwangsläufig und unerbittlich. Dass man sich nur schwer gegen sie wehren konnte, wusste Lee aus eigener Erfahrung. Er fühlte sich an Odysseus erinnert, der auf seiner langen Reise vor die Wahl zwischen einem Strudel und einem sechsköpfigen Ungeheuer namens Skylla gestellt worden war.
    Lee beschloss, Abstand zu Susan zu halten. Er machte kehrt und murmelte etwas von einem Anruf, den er tätigen müsse. Doch als er auf den Flur trat, stieß er auf Skylla – in Gestalt von Hildegard Elena Krieger von Boehm. Er versuchte, sich zu erinnern, was Odysseus getan hatte, und zuckte bei der Antwort zusammen: Er hatte sich für das Ungeheuer entschieden und sechs Besatzungsmitglieder geopfert, um zu vermeiden, sein ganzes Schiff an den Strudel zu verlieren. Na schön, dachte er, wenn es gut genug für Odysseus war, ist es auch gut genug für mich.
    Und entschied sich für Skylla.
    »Hallo«, sagte er und schenkte Elena Krieger ein breites Lächeln. »Was führt Sie denn hierher?«
    Zu seiner Erleichterung schnappte Skylla heute nicht zu.
    »Das Gleiche wie Sie«, entgegnete sie. Sie wirkte tief in Gedanken versunken und ein bisschen angeschlagen. »Ich arbeite an dem Fall.«
    »Oh, großartig«, bemerkte er in der Hoffnung, glaubhaft zu klingen. »Phantastisch.«
    Elena Krieger runzelte die Stirn und wischte sich eine Strähne ihrer üppigen rotblonden Mähne aus dem Gesicht. »Ich verstehe nicht ganz, was daran gut sein soll. Eine junge Frau wurde auf entsetzliche Art umgebracht.«
    »Äh, nein – ich meinte, ich freue mich, dass Sie auch an dem Fall dran sind.« Er schaute über die Schulter ins Büro zurück. Dort war Susan aufgestanden und kam auf ihn zu. »Ich muss Chuck suchen gehen«, murmelte er und versuchte, an Krieger vorbeizugehen, die ihm jedoch mit ihrem imposanten Körper den Weg verstellte.
    »Ich würde Ihnen gern ein paar Fragen stellen, wenn es Ihnen nichts ausmacht«, erklärte sie und musterte ihn von oben bis unten. Lee spürte, wie er errötete, und sah weg, um ihrem Starren zu entgehen.
    Sie war gebaut wie eine Amazone, fast einen Meter achtzig groß, mit gleichermaßen beeindruckenden Hüften und Schultern – kräftig und unbestreitbar sexy. Wer Elena Krieger als Mann zum ersten Mal begegnete, konnte kaum verhindern, sich vorzustellen, wie sie im Bett war – ebenso wenig die Vorstellung der blauen Flecken am nächsten Tag. Es war unmittelbar einsichtig, wie sie zu ihrem Spitznamen Walküre gekommen war – so jedenfalls nannten sie einige Polizisten hinter ihrem Rücken.
    Sie verströmte Sex, wie Harz aus einem Baum trat: unabsichtlich, naturbedingt und ungezwungen. Bei Susan Morton hingegen war das eine ganz andere Geschichte. Sie war ein Gebräu, eine sorgsam bemessene Mischung aus jeweils gleichen Teilen Sirup und Essig, honigsüß und säuerlich. Sie kam hinter ihm herbeigeschlendert und legte ihm ihre kühle Hand auf die Schulter. Wenn Elena Krieger durch und durch Feuer war, war Susan Morton Trockeneis. Er konnte die brennende Kälte durch die Stoffschicht hindurch auf der Haut spüren.
    »Was soll die Eile?«, sagte sie. »Chuck wird bestimmt bald wieder da sein.«
    Krieger richtete ihren Blick auf Susan, die Luft zwischen ihnen begann unter der Wucht ihrer Geringschätzung förmlich zu knistern. »Sie sind seine – Ehefrau?« Sie betonte das Wort so, als hätte sie »Hure« gesagt.
    Susan erwiderte ihren starren Blick, bevor sie antwortete. »Ja, Ich bin Susan Beaumont Morton.«
    Lee war sich unschlüssig, warum sie den mittleren Namen betonte – um Krieger damit herauszufordern, dass er französisch war? Oder um sie wissen zu lassen, dass sie eine eigene Identität hatte?
    »Sie müssen Elena Krieger sein«, fuhr Susan fort, das R unnötigerweise rollend. »Ich habe ja schon so viel über Sie gehört.« Sie schaffte es, die Bemerkung im besten Fall wie eine Provokation, im schlimmsten wie eine Beleidigung klingen zu lassen.
    Elena Krieger war der Kampfansage gewachsen. »Dessen bin ich mir sicher«, gab sie mit einem überlegenen Lächeln zurück. Sie wandte sich Lee zu und servierte Susan mit einer Drehung ihrer gewaltigen Schultern ab. »Gibt es hier irgendeinen Ort, wo wir über den Fall sprechen können?«
    Die Anspielung war deutlich: Das Büro war durch die unerwünschte Anwesenheit von Susan Morton verseucht.
    Susan hatte jedoch nicht vor,
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