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In einem Boot (German Edition)

In einem Boot (German Edition)

Titel: In einem Boot (German Edition)
Autoren: Charlotte Rogan
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Mordes schuldig gesprochen, und erst als sie abgeführt wurden, war mir, als ob ein letztes Band, bis zum Bersten gespannt, der Dehnung nicht mehr standhalten konnte und schließlich zerriss. Ich schaute ihnen nach, aber nur Hannah blickte sich um. In ihren Augen lag etwas von dem alten Feuer, und es betrübte mich, dass ich sie vermutlich zum letzten Mal in meinem Leben sah. Der Richter sagte: »Mrs Winter, Sie sind frei«, aber ich stand wie festgewachsen neben dem Tisch der Verteidigung und schaute zu, wie der Gerichtsschreiber seine Sachen packte, während sich der Saal leerte. Das dauerte eine Weile, weil auch der letzte Platz besetzt gewesen war. Alle wollten das Urteil miterleben. Schließlich waren nur noch meine Anwälte und ich in dem riesigen Saal übrig, in dem jedes Geräusch widerhallte. Mr Glover lud mich zu einem Mittagessen ein, um meinen Freispruch gebührend zu feiern. Ich wollte mich zu Mr Reichmann umwenden und ihn fragen, ob er uns begleiten würde, aber er war gegangen, und ich hatte zum ersten Mal eine unangenehme Ahnung, was meine neue Freiheit wirklich bedeutete.
    Meine Gefühle spiegelten sich wohl in meinem Gesicht, denn Mr Glover streckte den Arm aus, um mich zu stützen. Ich war im Begriff, ihn zu nehmen, als ich Mr Reichmann in einer schwach beleuchteten Ecke des Saals entdeckte, wo er sich mit einer eleganten Dame unterhielt, die sich von ihrem Platz erhoben hatte. Sosehr ich in der Vergangenheit versucht hatte, mir ihr Gesicht vorzustellen, ich hatte es nie lächelnd gesehen. Aber sie lächelte wahrhaftig. »Danke, Mr Glover«, sagte ich, zog meine Hand zurück und belohnte seine Fürsorge stattdessen mit einem freundlichen Lächeln. »Es geht mir gut.« Ich richtete mich auf und tat mein Bestes, nicht auf mein hämmerndes Herz zu achten. Ich hätte mir diese Begegnung zwar unter anderen Umständen gewünscht, aber ich war Mrs Henry Winter, und dies war nicht die Zeit noch der Ort, um meinem Mann Schande zu machen.

Rettung
    Der Tag nach Hardies Tod war strahlend schön. Mrs Grant zog einen Kamm aus ihrer Tasche und bat Hannah, unser Haar zu Zöpfen zu flechten oder zu Knoten zu binden, damit es uns nicht ins Gesicht hing. Die Sonne schien zwei Tage lang ununterbrochen. Unsere Decken trockneten, aber unsere Körper verloren sehr viel Flüssigkeit.
    Es gab jetzt noch achtundzwanzig Insassen im Rettungsboot. Mrs Grant wies uns andere Sitzplätze zu, um das Gewicht gleichmäßiger zu verteilen. Dann bat sie die Männer, das Segel zu setzen, und wir steuerten in Richtung England oder vielleicht auch Frankreich. Der Wind kam stetig aus Westen, und wir machten gute Fahrt. Ich wurde nach achtern befohlen, wo ich Mr Nilsson am Steuer ablösen sollte. Allerdings erwies ich mich bei dieser Aufgabe als hoffnungsloser Fall. Zum ersten Mal hatte ich Gelegenheit, Mr Nilsson aus der Nähe zu betrachten, und ich erkannte, dass er noch ein junger Mann war, der nur durch seine scheinbare Erfahrung, sein Wissen und seine Autorität, die er jetzt gänzlich verloren hatte, älter gewirkt hatte. Als ich ihn bat, mir zu zeigen, wie das Steuer bedient wurde, schaute er mich wie ein verschrecktes Kaninchen an und sagte: »Sie müssen es in die Richtung halten, die derjenigen entgegengesetzt ist, in die Sie fahren wollen.« Er demonstrierte es mir, indem er das Steuer einmal nach rechts und einmal nach links schob, wobei er eine schaumige Fahrrinne hinterließ. Als ich ihm sagte, dass er blutete, und anbot, das Blut abzuwischen, wich er vor mir zurück, wieder mit diesem verängstigten Ausdruck in den Augen.
    Ich brauchte meine ganze Kraft, um das Steuer festzuhalten. Einmal, vielleicht durch meine eigene Schuld, rutschte das Steuer aus der Verankerung und wäre beinahe auf immer verloren gewesen. Gelegentlich überkam mich ein Schwindelgefühl, und ich wäre wohl über Bord gegangen, wenn mich Mr Nilsson nicht an den Schultern gepackt und festgehalten hätte. Die mir übertragene Aufgabe forderte mir sämtliche körperliche Energie und geistige Aufmerksamkeit ab, die ich noch aufbringen konnte, und ich achtete kaum auf das, was im Boot vorging. Nach einer Weile nahm Greta meinen Platz ein, und irgendwann später tauschten wir wieder.
    Es drang erstaunlich wenig Wasser ins Boot ein. Wir hatten das Loch in der Seitenwand gestopft, so gut es ging, und das Boot war jetzt auch leichter, da weniger Leute darin saßen. Und diese Leute waren nur noch Schatten ihrer selbst. Als der Wind erstarb, erstarb auch unser
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