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In die Nacht hinein: Roman (German Edition)

In die Nacht hinein: Roman (German Edition)

Titel: In die Nacht hinein: Roman (German Edition)
Autoren: Michael Cunningham
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Peter gar nicht erpressen müssen. Vielleicht wusste er, dass man ihm nicht geglaubt hätte. Oder vielleicht – noch schlimmer – verschaffte es ihm eine gewisse Genugtuung, alle fertigzumachen und dann einfach weiterzuziehen. Vielleicht hat er mit ihnen beiden gespielt, um zu sehen, inwieweit er damit durchkommt.
    Rebecca dreht sich zu Peter um. Ihr Gesicht ist fahl, mit einem stumpfen Schweißglanz.
    Sie sagt: »Mir ist etwas klar geworden.«
    »Ja?«
    »Ich habe in einer echt beschissenen Phantasie gelebt.«
    Hier kommt es also doch. Sie hat mit der Illusion gelebt, einen ehrenhaften Mann zu haben, einen Mann, der zwar seine Fehler hat, aber nicht, niemals, das tun würde, was Peter getan hat.
    »Hm?«, sagt er.
    »Ich dachte, wenn ich Missy glücklich machen könnte, würde etwas Wunderbares geschehen.«
    »Was denn?«
    »Dass auch ich glücklich sein würde.«
    Sein Magen dreht sich um.
    Er hatte gedacht, sie wäre glücklich.
    »Ich glaube, du bist im Moment einfach außer dir«, erklärt er ihr.
    Sie holt rasselnd Luft. Sie weint nicht.
    »Ja«, sagt sie. »Ich bin außer mir. Und weißt du was?«
    Er schweigt.
    Sie sagt: »Als Missy mir erzählt hat, dass er wegen eines nichtexistenten Jobs nach San Francisco gehen will, und mich um ein Flugticket angehauen hat, war ich gar nicht sauer. Na ja, natürlich war ich sauer, aber ich war auch noch etwas anderes.«
    »Was?« Peter ist sich noch nie so dumm vorgekommen.
    »Ich war neidisch. Ich wollte nicht ich sein. Ich wollte kein reifer, ausgeglichener Mensch sein, der ihm einen Scheck ausstellen kann. Ich wollte jung sein und verkorkst und, ich weiß nicht. Frei.«
    Nein, Rebecca, das willst du nicht. Du willst Beständigkeit. Ich bin derjenige, der frei sein will. Ich bin derjenige, der unsägliche Dinge tun möchte.
    »Frei«, sagt er. Seine Stimme klingt hohl, fremd.
    Rebecca, du kannst diese Phantasie nicht haben. Das ist meine Phantasie.
    Sie schweigen. Er kann den Schnee ans Fenster klopfen hören. Er kommt sich vor, als könnte er das Bewusstsein verlieren, einfach umkippen.
    Er hört sich sagen: »Willst du uns los sein?«
    »Ja«, antwortet sie. »Ich glaube schon.«
    Was? Was? Nein. Du, Rebecca, bist die Glückliche – die einigermaßen Glückliche. Du bist diejenige, die zufrieden ist mit unserem flotten (wenn auch gelegentlich nüchternen) Leben, du bist diejenige, vor der ich, Peter, meinte, fliehen zu wollen, du bist diejenige, die ich nicht verletzen wollte.
    »Liebling«, sagt er. Nur das.
    »Du bist auch unglücklich, nicht wahr?«, sagt sie.
    Er antwortet nicht. Ja, ja, natürlich ist er unglücklich , aber Unglücklichsein ist sein Gebiet, sie hat kein Recht darauf, sie ist standhaft und beeindruckend, sie kann verletzt sein, aber sie ist nicht von sich aus unglücklich. Sie ist diejenige, die ihn in bester Absicht zurückhält.
    Er sagt: »Willst du mir sagen, dass du dich trennen willst?«
    »Es tut mir leid. Ich habe schon lange darüber nachgedacht.«
    Wie lange? Wie lange hast du Zufriedenheit vorgetäuscht?
    »Ich weiß nicht, was ich sagen soll.«
    Sie setzt sich auf, schaut ihn offen an. Ihre Augen sind stumpf. Sie sagt: »Ich hatte anscheinend eine unausgesprochene Abmachung mit mir, dass ich, wenn ich Missy glücklich machen kann, ebenfalls glücklich sein kann.«
    »Findest du das nicht ein bisschen …«
    Sie lacht, ein hohler Laut. »Verrückt? Ja.«
    »Und du würdest mich wirklich verlassen, weil Missy nach San Francisco gezogen ist?«
    »Ich würde dich nicht verlassen«, sagt sie. »Wir würden Schluss machen, du und ich. Wir würden uns Lebwohl sagen.«
    Kann es sein, dass dieser Monolith, für den Peter seine Ehe gehalten hat, schon immer so fadenscheinig gewesen ist? Kann es sein, dass all seine Geheimnisse, seine Besserwissereien, seine Schmeicheleien und Verführungskünste unnötig gewesen sind? Musste einer von ihnen einfach … Schluss machen, und puff ?
    Sein Gesicht ist klebrig geworden. Er ringt um Atem.
    »Rebecca«, sagt er. »Erklär mir das. Du sagst mir, dass du beschlossen hast, dich zu trennen, weil dein nichtsnutziger Bruder nach San Francisco gezogen ist, um Computergraphiken zu machen.«
    »Er wird keine Computergraphiken machen«, sagt sie. »Er wird einfach an einem neuen Ort Drogen nehmen.«
    »Wie dem auch sei.«
    Sie mustert ihre Fingerspitzen. Und dann steckt sie plötzlich den Zeigefinger in den Mund und beißt heftig darauf.
    »Ich bin ein kompletter Idiot«, sagt sie.
    »Hör auf. Sag das
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