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In der Hitze der Stadt

In der Hitze der Stadt

Titel: In der Hitze der Stadt
Autoren: Roger Aeschbacher
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seine Nichte umgebracht. Sein eigen Blut. Sein eigenes, kostbares Familienblut. Als ihm diese Erkenntnis und die Bedeutung seiner Tat endlich in aller Schrecklichkeit bewusst wurden, fiel ihm der Kopf ins Genick, und er verzerrte das ganze Gesicht. Langsam, unerbittlich begann er einen Schrei, der durch Mark und Bein ging. Der Kopf trudelte wieder nach vorne. Zitternd hielt er seine verkrampften Hände neben seinem Mund, dann warf er den Kopf wieder zurück, er schrie und schrie, erbärmlich, unwirklich. Unerlösbar.
    Er brüllte, bis er keinen Schnauf mehr hatte. Sein letzter Hilfeschrei ging über in ein Schluchzen, ein Wimmern. Schließlich saß er nur noch da, heulte hemmungslos.
    Dieses Wehklagen ließ keinen unberührt, auch Baumer nicht. Von allen war er jedoch noch am wenigsten schockiert. Er kannte diese Art von Wehrufen. Er hatte sie heute Morgen bereits einmal gehört.

    Der Kreis war geschlossen.

    Baumer ließ dem Türken keinen Moment, um zur Ruhe zu kommen. Er packte seine Chance. »Hast du Emine umgebracht, Erin?«
    Erin Azoglu saß zerstört auf einem Stuhl im großen Besprechungszimmer 101. Seine Ellenbogen lagen auf den Oberschenkeln, die Unterarme hingen zwischen seinen Beinen kraftlos herab, die Hände schlapp daran angehängt, als wären sie abgestorben. Sein Oberkörper war eingesunken, der Kopf lag schwer auf der Brust. Der Mann sah aus wie ein verkrebster Greis im Pflegeheim.
    Baumer fragte nochmals eindringlich: »Hast du Emine umgebracht, Erin?«
    Azoglu hob seinen Kopf schwerfällig, nur einen Tick. Er nickte aber nicht, sagte auch nichts, ließ den Kopf nur mitsamt den Schultern wieder fallen.
    Baumer legte seine Hand auf die Schulter des Türken, wiederholte seine Frage leise: »Hast du Mina umgebracht?«
    Endlich hob Erin Azoglu seinen Kopf.
    Er schaute den Kommissar lange an.
    Dann blickte er auf den Boden.

    Er nickte.

16
    Schneider sah das Nicken von Azoglu. Er packte sein Handy, suchte nervös einen Telefonkontakt und drückte den Verbindungsknopf. Noch während die Nummer gewählt wurde, gab er seinen Leuten im Raum Anweisungen, wie nun zu verfahren sei. Kommissar Baumer solle die Befragung hier gleich weiterführen, Heinzmann dableiben, als Zeuge.
    Die Verbindung zu seinem Gesprächspartner war inzwischen aufgebaut, er hob das Handy an sein Ohr, drehte schon ab, um sein Büro zu verlassen. Er winkte Ali energisch zu, er solle mit ihm hinausgehen. Kahraman durfte jetzt nicht mehr dabei sein. Alles Weitere war Sache der Polizei. Richtige Polizeiarbeit. Das mussten Profis erledigen.
    Schneider selbst hatte keine Lust, an der Befragung von Erin Azoglu teilzunehmen. Wozu auch? Der Typ war überführt. Er war ein Mörder. Uninteressante Person. Viel wichtiger war jetzt Schadensbegrenzung. Er musste seinen neuen Kumpel, den Anwalt, erreichen und ihn warnen. Hoffentlich war es noch nicht zu spät. Eine Hand wäscht die andere.
    Andreas Baumer sah den erregten Kommandanten aus dem Raum rauschen, Ali mit sich ziehend. Er hörte, wie sein Chef seinen Gesprächspartner ohne Anrede sofort ansprach: »Sind Sie schon bei Telebasel? … Nein? Ah, Gott sei Dank. Wir müssen sofort alles stoppen und …« Schneider war abgezischt.
    Regazzoni packte ebenfalls seine Sachen. Die Vorlesung war vorbei. Er wollte sich zurückziehen. Es gab noch viel zu tun. Weitere Untersuchungen und, ja, die Obduktion dieses Mädchens. Er richtete seine Haare, reckte seinen Hals und zurrte seine Krawatte fest. »Ach«, entfuhr es ihm, als sein Blick den Mörder ein letztes Mal streifte. Er ging ohne Gruß, schüttelte nur den Kopf.
    Die anderen blieben im Raum. Heinzmann lehnte wieder an der Wand, die Hand hatte er von seiner Waffe gelöst. Seinen »Föhn« würde er heute nicht mehr brauchen. Er wusste genau, wann von einem Bösen keine Gefahr mehr ausging. Der erfahrene Basler Polizist hatte einen zufriedenen Ausdruck in seinem wetterfesten Gesicht. Er lüpfte seinen Hut, wuschelte sich die Haare, setzte den Hut akkurat auf. Er passte wie angegossen. Zu Baumer sagte er: »Heute gibt’s keinen Crash. Unsere Aktien sind wieder voll im Plus.«
    »Ja«, antwortete Baumer. Auch er war ruhig, mehr noch erschöpft. Ein hartes Stück Arbeit war es gewesen, das sie heute abgeliefert hatten. Beinahe wäre ihr Team vor die Hunde gegangen dabei. Doch sie hatten es immer gewusst, immer gespürt. Mit viel Bauchgefühl und Glück und noch viel mehr Wissenschaft war es ihnen doch noch gelungen, Azoglu festzunageln. Und wie die
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