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In den Spiegeln - Teil 3 - Aion

In den Spiegeln - Teil 3 - Aion

Titel: In den Spiegeln - Teil 3 - Aion
Autoren: Ales Pickar
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grinsend. »Doch nichts ist so, wie das erste Mal, nicht wahr?«
    Wir hatten ein Gästezimmer betreten. Es war nüchtern eingerichtet, besaß aber die zwei wichtigsten Eigenschaften: ein Bett und vollkommene Stille. Somit war es für mich in meiner Verfassung näher am Paradies als alles andere.
    »Die Porno-Webseite ist gewöhnungsbedürftig.«
    »Aber unverdächtig«, erwiderte Julius pragmatisch. »Das Oktagon scannt ständig das ganze Internet. Aber auf so was Bescheuertes würden die nie kommen. Wir verwenden auch Spam-Emails als Tarnung. Weißt schon: ›Enlarge Your Penis‹ oder ›Ephedra is back!‹, oder ›I am Mnobutu Katanga, the former president of Kongo´.« Julius lachte hysterisch auf, als wären das alles seine Ideen gewesen. »Da ist eine Menge unserer eigenen Post darunter. Getarnt und verschlüsselt. Kein Mensch kann den ganzen Müll im Auge behalten. Wir sind nun auch vertreten in MySpace und in Second Life«, erklärte er, doch es klang als wüsste er selbst nicht so genau, worum es sich dabei handelte.
    »Zweites Leben?« sagte ich wie benebelt und fiel rückwärts auf die straffe Matratze. »Davon hatte ich unlängst eine ganze Menge.«
    Nachdem er das Zimmer verlassen hatte, starrte ich noch einige Augenblicke auf die Decke. Nur mühsam gelang es mir, genug Kräfte zu mobilisieren, um die Knöpfe meines Hemds zu öffnen und meine Hose auszuziehen. Und als das getan war, gab es keinen Halt mehr und ich versank in den Abgrund eines tiefen Schlafs.

Nachwort — oder: der Cliffhanger
     
    Nur wenige Etagen über den Räumen des Elysiums befand sich das Windows 25 . Die atmosphärische, erwartungsgemäß geschmackvolle Lounge war zu bestimmten Uhrzeiten auf regulärer Basis von der Lux Aeterna gemietet und galt für die rund dreihundert Mitglieder als ein willkommener Freizeithafen.
    Als ich dort zum ersten Mal saß, war es bereits in das warme, orange-rote Abendlicht getaucht. Die Gäste unterhielten sich mit gedämpften Stimmen, während Kellner gutgelaunt die Gerichte servierten. Die meisten Besucher zu dieser Stunde wohnten nur drei Etagen tiefer. Wenn man im Windows 25 zu Abend aß, war es gar nicht so unwahrscheinlich, dass die Person am Nebentisch eine kreisförmige Tätowierung auf der Schulter trug. Mit einer römischen Zahl darin. Natürlich versteckt unter einem modischen Jackett oder einem Rollkragenpullover.
    Ich war bei den gestylten Untoten gestrandet.
    Aramis sah man oft hier, meistens alleine an einem kleinen Tisch sitzend, mit einer Gabel etwas Leichtes zu sich nehmend und mit einem Buch in der freien Hand. Es mochte Poesie sein, ein Roman, aber auch ein Buch über Teilchenphysik, Astrologie, Psychotherapie, Waffenkunde, Stadtguerilla oder über den Farbwechsel bei Kraken. Es ergab auf eine seltsame Art Sinn, dass ausgerechnet er Manzios Körper betreten hatte.
    Kirké und ich nahmen auf den Barhockern Platz, an einem schmalen hohen Tisch. Sie saß mit dem Rücken zu einem großen Fenster, das vom Boden bis zur Decke reichte. Hinter ihr wurde das Panorama von Frankfurt teilweise von der Fassade des Commerzbank Tower verdeckt. Es machte schwindlig, sie anzusehen.
    Ich sah mich um und kam noch immer nicht aus dem Staunen heraus. Am anderen Ende des langen Raums entdeckte ich die vier Thailänderinnen, die mich damals so schlagartig verlassen hatten. Sie waren fünf Jahre gealtert und ihre Kleidung entsprach der von Geschäftsfrauen.
    Kirké folgte meinem Blick und lächelte.
    »Wir hatten sie aufgegriffen, als sie aus der Schutzwohnung wegliefen. Wir dachten, dass sie uns einiges über das Kerygma erzählen könnten. So strandeten sie hier, ähnlich wie du. Die Lux Aeterna war immer ein Hafen für all jene, die der Rest der Welt nicht anerkennt.«
    Die Frauen saßen um einen Tisch und schlürften durch Strohhalme irgendwelche bunten Getränke. Natürlich konnten sie mich nicht erkennen, denn ich hatte nun einen anderen Körper.
    »Hey, die schulden mir noch dreiundzwanzigtausend Mark.«
    Kirké lächelte.
    »Die aus unserer Kasse stammen, wenn ich mich recht erinnere.«
    Sie war die perfekte Sprecherin dieser subversiven Meta-Sekte.
    Der Kellner brachte uns die Getränke. Ein Glas Wein für Kirké und eine läppische Cola für mich. Es zuckte mich in den Fingern, einen Whiskey zu bestellen. Zur Feier des Tages. Um einfach ein wenig »runterzukommen«. Doch ich wusste, dass mein Körper weder Gründe zum Saufen brauchte, noch Lust auf einen Drink hatte. Er hatte Lust auf zehn
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