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In angenehmer Gesellschaft

In angenehmer Gesellschaft

Titel: In angenehmer Gesellschaft
Autoren: Bernard Glemser
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Stratford-on-Avon. Sie zeigte uns das Gericht und die St. Pauls-Kathedrale und alle Kirchen der City und das finstere Haus, in dem der Lord Mayor von London regiert. Sie war unermüdlich und entschlossen, uns nicht die kleinste Sehenswürdigkeit entgehen zu lassen. Zum Schluß jedes Tages erholten wir unsere schmerzenden Glieder in heißen Bädern und wankten sofort nach dem Abendbrot ins Bett.
    Dann aber, als ob sie uns für dieses gewalttätige Programm entschädigen wollte, gab sie am Abend vor unserer Abreise nach Paris und dem Louvre eine Party für uns. Bis dahin hatten wir zu unserer Enttäuschung kaum einen interessanten Engländer kennengelernt, und ich glaube, daß dies zu Tante Janes Strategie gehörte—alte Denkmäler besichtigen war eins, romantische Verliebtheit etwas anderes, und sie dachte nicht daran, beides durcheinanderzubringen. Aber die Party war eine mehr als angemessene Entschädigung dafür. Sie bestellte eine Tanzkapelle, ließ große Bowlen ansetzen, und plötzlich fanden wir uns, sehr überrascht, von Männern umgeben, jungen Männern, die aussahen und rochen und lachten wie junge Männer. Der Botschafter kam auf ein paar Minuten herein und strahlte uns an; vornehme europäische Diplomaten verbeugten sich und küßten uns die Hände; die jungen Männer nahmen uns in ihre starken, jungen Arme und fegten mit uns in dem großen Raum umher; und mitten in aller Lustigkeit, genau um Mitternacht, als es mir vorkam, wie wenn es auf der ganzen Welt keine Sorgen gäbe, erschien Biddeford Poole.
    Er stand einen Augenblick allein in der offenen Tür, die Hände auf dem Rücken, groß und schlank und wundervoll angezogen, und beobachtete mich. Himmel—wie elegant er war! Schleife, Frack, glänzend und erlesen. Fast hätte es einen abstoßen können, wenn man nicht sofort gefühlt hätte, daß seine Eleganz ein Naturereignis war — in einer Indianerdecke hätte er nicht weniger glänzend ausgesehen. Unsere Blicke begegneten sich, als ich in den Armen eines jungen schottischen Offiziers an ihm vorbeiwirbelte; er lächelte, ohne in Wirklichkeit zu lächeln; und sofort, wie in einem Traum, schien der junge Schotte sich in Nichts aufzulösen.
    Ein paar Minuten später war der Tanz zu Ende, und mein Partner führte mich zu Marva und Adrienne zurück. »Ist etwas nicht in Ordnung?« fragte Marva, und ich sagte: »Nichts.«
    »Was ist los?« fragte Adrienne, und ich sagte: »Nichts.«
    Es war einer seiner dämonischen Tricks — er konnte einen anlächeln, ohne wirklich zu lächeln, und zu einem sprechen, ohne den Mund aufzumachen, und einen aus einer Entfernung von sechs Metern mit größtem Erfolg verführen. Nie bin ich dahintergekommen, wie er es fertig bekam — vielleicht hatte er es von einem Yogi im Himalaja gelernt. Niemals habe ich mich daran gewöhnt; immer seit jenem Abend konnte er mich in eine Art Hypnose versetzen, indem er mich nur ansah. Oder sogar, ohne midi anzusehen — es genügte, daß er seine Schulter hob oder seine linke Augenbraue hochzog. Beim ersten Male aber, als mir noch jede Erfahrung darin fehlte, wirkte es vernichtend, und jedes meiner Organe schien in einen unheimlichen Zustand zu geraten.
    »Vielleicht ist es besser, wenn du dich hinlegst«, sagte Marva.
    »Ich werde dich nach oben bringen«, sagte Adrienne.
    Ich sagte: »Macht euch nicht lächerlich!«
    Ich sah ihn wie vergrößert, als ob ich durch ein Fernglas blickte; er wandte sich zur Seite und bahnte sich einen Weg durch die Menge zu Tante Jane, unterbrach eine Unterhaltung zwischen ihr und einem sehr eleganten Schweden, und sie stieß einen Schrei des Entzückens aus, als sie sich zu ihm umdrehte und ihn begrüßte.
    Er küßte ihre Wange, drückte ihre Hand und flüsterte ihr etwas ins Ohr; und Tante Jane, eine achtbare Jungfrau tief im mittleren Alter, wurde rot und kicherte wie ein Schulmädchen.
    Gleich darauf, immer noch rot und kichernd, brachte sie ihn zu uns, indem sie ihn quer durch den Raum an der Hand führte.
    »Meine lieben Kinder«, sagte sie, als ob wir eben erst aus dem Kindergarten gekommen wären, »ich möchte euch mit Mr. Biddeford Poole bekanntmachen.« Und eine nach der anderen wurden wir vorgestellt.
    Zu Marva war er scharmant. Adrienne zwinkerte er zu. Aber als er sich an mich wandte, war sein Gesicht ausdruckslos.
    »Wie geht es Ihnen, Miss Savage?«
    »Wie geht es Ihnen, Mr. Poole?«
    Diese Kälte, diese Ausdruckslosigkeit machten mir die Luft knapp. Es war so wohlüberlegt, so
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