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Imperium

Imperium

Titel: Imperium
Autoren: Robert Harris
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Xenokles aus Adramyttion - allein die Namen geben eine Ahnung von ihrem Stil. Mit jedem von ihnen verbrachte Cicero Wochen. Er studierte ihre Techniken so lange, bis er glaubte, sie begriffen zu haben.
    »Tiro«, sagte er eines Abends, während er in dem gedünsteten Gemüse herumstocherte, das er jeden Tag aß, »ich habe genug von diesen gelackten Gockeln. Kümmere dich um ein Boot, das uns von Loryma nach Rhodos bringt.Wir versuchen etwas anderes, wir schreiben uns in der Schule von Apollonios Molon ein.«
    Und so kam es, dass an einem Frühlingsmorgen kurz nach Sonnenaufgang, als das Karpathische Meer so milchig glatt wie eine Perle vor uns lag (man muss mir die gelegentlichen gedrechselten Wendungen verzeihen: Ich habe zu viel griechische Dichtung gelesen, als dass ich den nüchternen lateinischen Stil durchhalten könnte), ein Boot uns vom Fesdand zu jener altberühmten, zerklüfteten Insel brachte, wo am Landungssteg die stämmige Gestalt von Molon höchstpersönlich wartete.
    Molon war ein Rechtsgelehrter, der aus Alabanda stammte und in den Gerichtssälen Roms brilliert hatte. Ihm war sogar die beispiellose Ehre zuteil geworden, im Senat eine Rede in griechischer Sprache halten zu dürfen. Danach hatte er sich nach Rhodos zurückgezogen und seine Rhetorikschule gegründet. Seine Theorie der Redekunst, die das genaue Gegenteil der »asianischen« darstellte, war einfach: Lauf nicht zu viel herum, halt den Kopf gerade, komm schnell zum Punkt, bring deine Zuhörer zum Lachen, bring sie zum Weinen, und wenn du ihre Sympathie gewonnen hast, dann setz dich wieder hin. »Denn nichts«, so Molon, »trocknet schneller als eine Träne.« Das war weit mehr nach Ciceros Geschmack, und so begab er sich ganz und gar in die Hand von Molon.
    Molons erste Handlung an jenem Abend war, dass er Cicero eine Schüssel hart gekochter Eier mit Sardellensoße auftischte. Als Cicero fertig gegessen hatte - was nicht ohne Klagen abging -, servierte er ihm noch ein großes, über Holzkohle gebratenes Stück Fleisch und einen Becher Ziegenmilch. »Du brauchst Fleisch auf den Rippen, junger Mann«, sagte er und klopfte sich auf seinen breiten Brustkorb. »Aus einer schwächlichen Rohrflöte ist noch nie ein voller Ton gekommen.« Cicero schaute ihn wütend an, aß seinen Teller aber pflichtschuldigst bis auf den letzten Bissen leer. In jener Nacht schlief Cicero zum ersten Mal seit Monaten durch. (Ich weiß das, weil ich immer auf dem Boden neben seinem Bett schlief.)
    Bei Tagesanbruch begannen die Leibesübungen. »Auf dem Forum zu sprechen«, sagte Molon, »ist wie ein Wettlauf. Es verlangt Durchhaltevermögen und Kraft.« Er täuschte einen Faustschlag auf Ciceros Brustkorb an, worauf dieser ein lautes Uff! ausstieß, zurückstolperte und fast gestürzt wäre. Molon ließ ihn mit gespreizten Beinen und durchgedrückten Knien Aufstellung nehmen und mit den Fingerspitzen zwanzig Mal den Boden vor jedem Fuß berühren. Dann musste er sich mit dem Rücken auf den Boden legen, die Hände hinter dem Kopf verschränken und, ohne die gestreckten Beine vom Boden zu heben, den Oberkörper aufrichten und wieder senken. Danach befahl er ihm, sich auf den Bauch zu drehen und den Körper ausschließlich mit der Kraft seiner Arme auf und ab zu hieven, wieder zwanzig Mal und auch hier, ohne die Knie zu beugen. Das war das Programm des ersten Tages. An den folgenden Tagen kamen weitere Übungen hinzu, und die Dauer der Übungen wurde ausgedehnt. Cicero hatte einen guten Schlaf, und auch die Mahlzeiten verursachten keine Beschwerden mehr.
    Zur eigentlichen Vortragsschulung verließ Molon mit seinem eifrigen Schüler den schattigen Innenhof, ließ ihn in der Mittagshitze ohne Pause einen steilen Hügel hinaufgehen und dabei Übungspassagen rezitieren - üblicherweise eine Gerichtsszene oder einen Monolog von Menander. Ciceros stampfende Schritte verscheuchten die Eidechsen, und die zirpenden Zikaden in den Olivenbäumen waren sein einziges Publikum, während er seine Lunge kräftigte und lernte, aus einem einzigen Atemzug das Maximum an Worten herauszuholen. »Halte die Tonhöhe im mittleren Bereich«, wies ihn Molon an. »Da sitzt die Kraft. Nicht zu hoch und nicht zu tief.« Nachmittags ging Molon mit ihm hinunter an den Kiesstrand, postierte sich achtzig Schritte von Cicero entfernt (die maximale Reichweite der menschlichen Stimme) und ließ ihn zur Ausbildung des Stimmvolumens gegen das Donnern und Brausen der Brandung anreden - das komme, so sagte
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