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Im Zug (German Edition)

Im Zug (German Edition)

Titel: Im Zug (German Edition)
Autoren: Uwe Lammers
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Sie merkte sich die Abteilnummer 81 und wandte sich dann den schwankenden Gang nach links, wo das Zugende lag.
    Und der Alptraum begann.
    *
    Der Zug war wirklich leer.
    Jedes einzelne Abteil, an dem Helen vorbeikam, gähnte sie hinter der Glastür an, und auf der rechten Gangseite sauste nur die finstere Umgebung hinter den großen Fensterscheiben vorbei. Bei manchen Kabinen waren die dünnen Vorhänge vorgezogen, aber dahinter glomm kein Licht, also war wahrscheinlich niemand darin. Leuchtplatten an der Decke warfen warmes, gelbliches Licht auf den schmalen Gang, der an seiner Fensterseite klappbare Sitze aufwies.
    Alles an diesem Zug erschien Helen Edwards nach ein paar Minuten des Wanderns seltsam alt und abgenutzt. Auch kam es ihr vor, als sei der Waggon eigentümlich lang . Aber das musste eine Täuschung sein. Sie war müde, und Eisenbahnwaggons sahen ohnehin fast alle gleich aus. Zudem war die Bahn meistens so einfallslos, wirklich sehr ähnliche Waggons in langen Schlangen hintereinander zu hängen, so dass man Schwierigkeiten besaß, das eigene Abteil wieder zu finden. Helen verdrängte die beunruhigenden Erinnerungen an einen Schottlandurlaub vor einigen Jahren, wo es ihr so ergangen war.
    Nicht träumen, dafür war keine Zeit!
    Wo war nur diese vermaledeite Toilette? Nie war sie da, wo man sie vermutete!
    Schließlich gelangte Helen an eine Engstelle, wo die Gelenke der Waggons zusammenstießen. Es roch hier nach Öl, die Metallwände ruckelten und bebten, wenn die Räder des Zuges über die Schwellen holperten. Helen wartete ab, bis der Ruck vorbei war, dann erst öffnete sie die Durchgangstür zum nächsten Waggon und ärgerte sich gleich darauf, dass tatsächlich alle Waggons so offenkundig gleich aussahen.
    „Das ist ja wie bei den Deutschen“, murmelte sie unwirsch, suchte aber unverdrossen weiter nach der Toilette. Zugfahren in Deutschland, das war auch so eine Sache, an die sie sich sehr ungern erinnerte. Vor ein paar Jahren hatte sie mal an einem Historikertag in Köln teilgenommen und den Zug gewählt, um ein wenig „vom Land“ zu sehen.
    Nie wieder!
    Helen verdrängte auch diese unliebsame Erinnerung.
    Auch im zweiten Waggon befand sich keine Toilette. Und nicht im dritten. Nur gut, dass sie kein dringendes Bedürfnis plagte …
    „Lausiger Service!“, befand Helen verärgert.
    Helen warf einen raschen Blick auf die Uhr und wollte dann weitergehen. Sie war schon zwei Schritte weit gegangen, als sie endlich realisierte, was die Ziffernblätter angezeigt hatten. Sie blieb in diesem Moment stehen, als sei sie gegen eine Wand gelaufen. Helen hob das Handgelenk erneut und schaute sich die Uhr noch einmal an.
    Die Uhr zeigte 23.46 Uhr an.
    „Das gibt es doch nicht!“
    Ein eisiger Schauer überrieselte sie, und einen Moment lang kam es Helen so vor, als schwanke der Boden stärker als normal im Rasen des Zuges. Sie kam sich vor, wie wenn jemand ihr den festen Halt geraubt hätte.
    Sie hielt sich unwillkürlich an einem Haltegriff an der Wand fest und schaute genauer hin. Ihr jäher, instinktiver Anflug von Furcht schwand dahin. Es handelte sich fraglos nur um eine unangenehme Reihung von dummen Zufällen.
    Ärgerlicherweise handelte es sich bei ihrer Armbanduhr nicht um eine Digitaluhr. Die verabscheute Helen von Herzen, seitdem ihr früher immer wieder die Batterien zu den ungünstigsten Zeiten ausgefallen waren und das Flüssigkristalldisplay gar nichts mehr angezeigt hatte. Diese Uhr hier musste man zwar aufziehen, aber dafür war auf solche Chronometer seit Jahrhunderten Verlass.
    Nun, auf diesen hier wohl nicht mehr.
    „Die Uhr ist stehengeblieben ! So ein Mist aber auch!“
    Wenn etwas schief ging – und dann noch meistens auf Reisen und in problematischen Situationen – , dann aber auch richtig! Gut, dass sie nicht Freitag den dreizehnten schrieben! Sie war zwar nicht abergläubisch, weil sich das für eine gute Anglikanerin nicht schickte, aber diese Situation zerrte doch schon allmählich an ihren Nerven. Allein in diesem nächtlichen Zug, offenkundig dicht vor dem Ziel, aber ohne Zeitangabe. Und ohne einen Schaffner in der Nähe, der ihr die wirkliche Zeit verraten konnte.
    Na, bestens!
    Gut nur, dass ein Blick aus dem Fenster verriet, wie schnell der Zug noch immer war. Vor dem Einlaufen in den Hauptbahnhof von Oxford würde er notwendig langsamer werden müssen. Also waren sie wohl noch eine Weile unterwegs …
    Helen zog die Uhr geschwind auf, wusste aber natürlich, dass das
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