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Im Zeichen des Löwen: Kriminalroman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition)

Im Zeichen des Löwen: Kriminalroman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition)

Titel: Im Zeichen des Löwen: Kriminalroman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition)
Autoren: Anne Holt
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    Das Telefon hatte keine Ruhe gegeben. Am Ende hatte sie den Stecker herausgezogen. Es war Freitagabend, und sie wollte frei haben. Richtig frei. Das war doch wohl das mindeste. Jeden Tag rannte sie zwischen Büro und Parlament hin und her, da wollte sie sich nicht auch noch ihren sauer verdienten Freitagabend verderben lassen. Die Kinder waren beide ausgegangen, und halbwüchsig, wie sie waren, sah sie sie ohnehin nur selten. Im Moment war ihr das nur recht. Sie war erschöpft und fühlte sich ein wenig krank, und sie hatte den Europieper bewußt ganz hinten im Kleiderschrank verstaut, obwohl sie eigentlich jederzeit erreichbar sein mußte. Vor einer halben Stunde hatte sie gehört, daß im Schlafzimmer ein Fax eingegangen war, doch sie hatte keine Lust gehabt, es zu lesen. Sie mixte sich einen Campari mit ein wenig Tonic und vielen Eiswürfeln, legte die Füße auf den Tisch und hoffte, daß sie im Gewirr der vielen Fernsehsender, mit denen sie sich noch immer nicht so ganz auskannte, einen Krimi finden würde.
    Der Norwegische Rundfunk erschien ihr am verheißungsvollsten.
    Gerade begann eine Nachrichtensendung. Um halb zehn? Sicher die Spätnachrichten. Aber so früh schon? Sie stand auf, um sich eine Zeitung zu holen.
    Da fiel ihr der Text am rechten Bildrand auf: »Sondersendung«. Eine Sondersendung? Sie blieb mit dem Campariglas in der Hand stehen. Der Mann mit den schütteren hellen Haaren und müden Augen schien mit den Tränen zu kämpfen. Er räusperte sich, ehe er sagte:
    »Ministerpräsidentin Birgitte Volter ist tot. Im Alter von nur knapp einundfünfzig Jahren wurde sie im Laufe des Nachmittags oder des frühen Abends in ihrem Büro im Regierungshochhaus erschossen.«
    Das Campariglas landete auf dem Boden. Sie hörte am Geräusch, daß es nicht zerbrochen war, aber der flauschige helle Teppich würde wohl für immer verdorben sein. Langsam ließ sie sich wieder aufs Sofa sinken.
    »Tot«, flüsterte sie. »Birgitte? Tot … erschossen?«
    »Wir schalten ins Regierungsgebäude.«
    Ein junger, aufgeregter Mann, der in seiner viel zu weiten Windjacke klein wirkte, starrte aus weit aufgerissenen Augen in die Kamera.
    »Ja, ich stehe hier vor dem Hochhaus, und soeben wurde bestätigt, daß Birgitte Volter wirklich …«
    Er konnte offenbar nicht die passenden Worte finden, er hatte nicht einmal Zeit gehabt, sich einen dunklen Anzug anzuziehen, was dem Sprecher im Studio doch immerhin gelungen war, und er stotterte und hüstelte.
    »… verschieden ist. Wir wissen nun, daß sie durch einen Kopfschuß getötet wurde, und alles weist darauf hin, daß sie sofort tot war.«
    Dann fiel ihm nichts mehr ein. Er schluckte und schluckte, und der Kameramann schien nicht zu wissen, ob er ihn weiterhin in Großaufnahme zeigen sollte. Das Bild wanderte zwischen dem Reporter – der ein wenig zu hell angestrahlt wurde – und der leisen Geschäftigkeit im Hintergrund hin und her, wo die Polizei sich alle Mühe gab, Gaffer und Journalisten hinter die rot-weißen Absperrungsbänder zu drängen.
    Birgitte war tot. Die Nachrichtenstimmen schienen sehr weit weg, und sie merkte, daß ihr schwindlig war. Sie steckte den Kopf zwischen die Knie und streckte die Hand nach einem Eiswürfel aus, der auf dem Teppich lag. Der Eiswürfel war mit Fusseln besetzt, aber sie hielt ihn sich an die Stirn, das sorgte für einen etwas klareren Kopf.
    Der Sprecher im Studio setzte zu einem heldenhaften Rettungseinsatz für seinen jüngeren und unerfahrenen Kollegen vor dem Regierungsgebäude an.
    »Wissen Sie, ob schon jemand verhaftet worden ist?«
    »Nein, dafür gibt es keine Anzeichen.«
    »Wissen wir etwas darüber, um was für eine Waffe es sich handelt?«
    »Nein, wir wissen nur, daß Birgitte Volter tot ist und daß sie erschossen wurde.«
    »Was passiert jetzt gerade im Hochhaus?«
    Und so ging es ewig weiter, zumindest kam es der Gesundheitsministerin Ruth-Dorthe Nordgarden so vor. Nach einer Weile wurde ins Parlament geschaltet, wo eine ernste Versammlung von Fraktionsvorsitzenden vor laufender Kamera atemlos in den Sitzungssaal eilte.
    Das Telefon!
    Sie stöpselte den Stecker wieder ein, und schon nach wenigen Sekunden klingelte es.
    Als sie auflegte, war ihr einziger Gedanke:
    Bin ich jetzt meinen Job los?
    Danach ging sie zum Kleiderschrank im Schlafzimmer, fischte den Europieper heraus und suchte nach passender Kleidung. Am besten Schwarz. Andererseits war sie der kalten Jahreszeit entsprechend blaß, und da war Schwarz
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