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Im Zeichen des Löwen: Kriminalroman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition)

Im Zeichen des Löwen: Kriminalroman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition)

Titel: Im Zeichen des Löwen: Kriminalroman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition)
Autoren: Anne Holt
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mehr an sich selbst gerichtet als an Knut Fagerborg. »Ich habe heute nachmittag versucht, Grinde beim Obersten Gericht anzurufen. Es ist gar nicht so leicht, herauszufinden, was seine Kommission eigentlich so treibt. Die Tussi im Vorzimmer hat gezwitschert, er sei bei der Ministerpräsidentin. Aber was zum Teufel wollte er von ihr?«
    Sie hob die Arme und streckte sich. Knut registrierte den Geruch von P OISON . Vor nicht allzulanger Zeit hatte er sich beim Notarzt mit Antihistaminen behandeln lassen müssen, weil er die Nacht mit einer Frau verbracht hatte, die in dieser Hinsicht denselben Geschmack hatte wie Liten Lettvik.
    »Was willst du?« fragte sie plötzlich, als habe sie ihn gerade erst entdeckt.
    »Also, irgendwas ist los. Erst läuft der Polizeifunk Amok, und jetzt herrscht Totenstille. Sowas hab ich noch nie erlebt.«
    Nun hatte der nicht einmal zwanzig Jahre alte Knut Fagerborg ohnehin noch nicht viel erlebt, aber Liten mußte ihm beipflichten. Das war wirklich seltsam.
    »Leute!« Ein Mann um die vierzig in grauer Tweedjacke betrat mit schlurfenden Schritten die Redaktion.
    »Irgendwas ist im Hochhaus los. Jede Menge Menschen und Autos, und jetzt wird die Straße abgesperrt. Erwartet die Ministerpräsidentin irgendein hohes Tier aus dem Ausland?«
    »Abends? An einem Freitagabend?«
    Liten Lettvik tat das linke Knie weh.
    Zwei Stunden bevor die Bohrinsel Kielland gekentert war, hatte ihr das linke Knie weh getan. Am Tag vor dem Mord an Olof Palme hatte es wie besessen geschmerzt. Ganz zu schweigen davon, wie sie am ersten Abend des Golfkriegs zum Notarzt gehumpelt war und sich darüber gewundert hatte, daß die Schmerzen so spät eingesetzt hatten. Später in der Nacht hatte sie dann erfahren, daß König Olav gestorben war.
    »Geh mal rüber und sieh nach.«
    Knut machte sich auf den Weg.
    »Kennt ihr eigentlich Leute, die 1965 ein Kind bekommen haben?«
    Liten Lettvik rieb sich das Knie, was nicht ganz einfach war; sie keuchte und quetschte ihren Bauch gegen die Tischkante.
    »Ich bin Jahrgang 1965«, rief eine elegante Frau in fliederfarbenem Kostüm, die zwei Ordner aus dem Archiv brachte.
    »Das hilft uns nicht weiter«, sagte Liten Lettvik. »Du lebst ja noch.«
    20.15, Büro der Ministerpräsidentin
    Billy T. hatte ein Gefühl, das er als Sehnsucht interpretierte. Es hatte ihn irgendwo im Zwerchfell gepackt, und er mußte mehrere Male tief Luft holen, um einen klaren Kopf zu bekommen.
    Das Büro der norwegischen Ministerpräsidentin wäre recht geschmackvoll gewesen, wenn sie nicht mit dem Kopf auf den Papieren tot dagelegen hätte; das war eine im wahrsten Sinne des Wortes blutige Beleidigung des Innenarchitekten, der sich nach sorgfältigen Erwägungen für einen großen Schreibtisch mit geschwungener Kante entschieden hatte. Die schwungvollen, welligen Formen wiederholten sich bei einem Bücherregal, das zwar recht dekorativ war, aus Mangel an geraden Linien jedoch restlos unbrauchbar schien. Es enthielt deshalb auch nicht viele Bücher. Das Zimmer war rechteckig, auf der einen Seite befand sich eine Sitzgruppe, auf der anderen stand der Schreibtisch mit den beiden Besuchersesseln. Nichts in diesem Raum hätte als luxuriös bezeichnet werden können. Anderswo im Land hatte Billy T. bereits wesentlich exklusivere Büros gesehen. Dies war ein ganz und gar sozialdemokratischer Raum, ein nüchternes Ministerpräsidentinnenbüro, über das norwegische Gäste anerkennend nicken würden, während Staatsoberhäupter aus manchen anderen Ländern es vielleicht als zu schlicht auffassen würden. An den beiden Enden des Zimmers befand sich jeweils eine Tür; durch die eine war Billy T. eben hereingekommen, die andere führte in einen Aufenthaltsraum mit Dusche und Toilette.
    Der Arzt war blaß und hatte Blutflecken an seiner grauen Jacke. Er kämpfte mit seinen Latexhandschuhen, die sich nicht abstreifen lassen wollten, und Billy T. hörte aus seiner angespannten Stimme einen Hauch von Feierlichkeit heraus.
    »Ich nehme an, daß die Ministerpräsidentin vor zwei bis drei Stunden gestorben ist. Aber das ist nur eine vorläufige Annahme. Äußerst vorläufig. Ich gehe davon aus, daß die Temperatur in diesem Zimmer konstant gewesen ist, jedenfalls bis zu unserem Eintreffen.«
    Endlich gaben die Handschuhe nach, mit einem saugenden Geräusch verabschiedeten sie sich von den Fingern und wurden in die Tasche der Tweedjacke gestopft. Der Arzt richtete sich auf.
    »Kopfschuß.«
    »Seh ich doch selber«,
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