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Im Totengarten (German Edition)

Im Totengarten (German Edition)

Titel: Im Totengarten (German Edition)
Autoren: Kate Rhodes
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in seinem Rollstuhl irgendwo herumzusitzen, und er konnte nicht mal mehr was trinken, um sein Elend zu vergessen, weil sie streng darüber wachte, dass kein Tropfen Alkohol im Haus war. Sein erzwungenes Schweigen verlieh ihr die Freiheit, möglichst bösartig mit der Familie umzugehen. Und mein Bruder litt am meisten, weil er der mit Abstand Klügste von uns allen war.
    Der letzte Schnappschuss zeigte Will, wie er ängstlich einen Briefumschlag umklammert hielt. Meine Mutter hatte ihn gewaltsam an die Spitze seines Schuljahrgangs geführt, doch als die Ergebnisse der Abschlussprüfung kamen, war er wie gelähmt. Entschlossen riss sie ihm den Umschlag aus der Hand, denn vielleicht war sie der Ansicht, dass dieser Erfolg von Rechts wegen nicht ihm, sondern ihr persönlich zuzuschreiben war.
    Meine Kiste füllte sich mit Wut. Ich hielt stumme Zwiesprache mit meinem toten Vater, fragte ihn, ob er sich je hatte verzeihen können, wie er mit uns umgegangen war, und griff auch meine Mutter an, weil sie meinen Bruder derart unter Druck gesetzt hatte, dass er am Ende völlig ausgerastet war.
    Der größte Teil von meinem Zorn jedoch galt mir. Immer wieder hatte ich mich wider besseres Wissen auf Beziehungen zu Männern eingelassen, und je länger sie gedauert hatten, desto schädlicher hatte es sich ausgewirkt. Hätte ich mich von Sean ferngehalten, wäre all das vielleicht nie passiert. Zwar hatte er die junge Frau vom Crossbones Yard schon kurz vor unserer Trennung umgebracht, aber sicher hatte er gespürt, dass ich bereits Wochen vorher auf Distanz zu ihm gegangen war. Er hatte die Zeichen erkannt und dann seinen Zorn an einem Mädchen ausgelassen, das ihm irgendwo über den Weg gelaufen war. Es war meine Schuld, dass drei Frauen gestorben waren und dass Lola jetzt in diesem behelfsmäßigen Sarg gefangen war.
    Es hätte mich mit Dankbarkeit erfüllen sollen, dass mein Ärger endlich an die Oberfläche kam. Er gab mir die Energie, stundenlang die Seile, die um meine Handgelenke lagen, zu bearbeiten und zu versuchen, die diversen Knoten mit den Zähnen aufzuziehen. Sie weigerten sich standhaft, aufzugehen, doch zumindest lockerte sich meine Fessel weit genug, dass sich meine Finger wieder ganz normal bewegen ließen, weil das Blut wieder ein wenig leichter durch die Hände floss. Dann rieb ich meinen Kopf an einer der rauen Wände meines Sargs, und obwohl ich anfangs jede Menge Splitter in den Skalp gerammt bekam, gab die Augenbinde langsam nach, und als der Stoff etwas verrutschte, sah ich, dass durch ein paar schmale Spalte Licht in meine Kiste fiel.
    Als die Schritte wiederkamen, wusste ich, was mich erwartete, und wildes Zittern überkam mich, doch ich musste einfach irgendetwas unternehmen, damit dieser Mistkerl mich und Lola nicht am Ende mit zerfetzten Leibern und zerschnittenen Gesichtern auf die Straße warf.
    Er öffnete den Riegel über meinem Kopf, und mit angehaltenem Atem dachte ich an einen Fluss, der durch eine Senke schoss und Autos, Bäume, Häuser sowie alle anderen Gegenstände, die ihm in die Quere kamen, einfach mit sich riss. Vielleicht atmete der Kerl den in mir angestauten Zorn ja ein, wenn er in die Kiste sah, und würde während eines kurzen Augenblicks davon betäubt.
    Als er sich zu mir herunterbeugte, um nach meinem Arm zu greifen, schlug mir abermals der bittere Ammoniakgestank entgegen, und ich dachte an das Crossbones-Mädchen, das so fern der Heimat umgekommen war, und an Cheryl Martin, die bereute, nicht gekämpft zu haben, als sich die Gelegenheit dazu ergab.
    Das Problem war, dass ich keine Ahnung hatte, was ich machen sollte, und ich dem Kerl in meinen engen Fesseln deutlich unterlegen war.
    Mein geschundener Rücken krachte unsanft an den Rand der Kiste, schließlich aber setzte mich der Kerl auf einen Stuhl, und ich hörte, dass er wegging und kurz darauf zurück in meine Richtung kam. Während ich noch überlegte, ob mit meinen Fußfesseln ein halbwegs ordentlicher Sprung zu schaffen war, drückte er mir abermals den Becher an den Mund. Diesmal war der Inhalt säuerlich, ein wenig zähflüssig und warm. Keine Ahnung, was er mir zu trinken gab. Wahrscheinlich ein Betäubungsmittel aus dem Krankenhaus. Die Flüssigkeit lief mir über die Lippen, und als er bemerkte, dass nur ein paar Tropfen meinen Hals erreichten, zwang er keuchend meinen Kiefer auf. Mein Herz schlug schmerzlich gegen meinen Brustkasten, und mir stockte der Atem, als ich daran dachte, wie ich über die tote Suzanne
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