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Im Totengarten (German Edition)

Im Totengarten (German Edition)

Titel: Im Totengarten (German Edition)
Autoren: Kate Rhodes
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wie ein Presslufthammer, doch noch immer stand ich unter Schock, der mich erfolgreicher als jedes Opiat betäubte. Mir war immer noch bewusst, dass ich einen Mann getötet hatte, aber ich verspürte nicht einmal den Wunsch, mich zu vergewissern, dass tatsächlich Sean dort vor mir lag. Ich wollte nicht die Sturmhaube nach hinten ziehen und sehen, dass sein geradezu absurd hübsches Gesicht nicht weniger entstellt war als das von seinem letzten Opfer. Erst mal musste ich mich darauf konzentrieren, Lola von dort weg in Sicherheit zu bringen, doch die Tür war abgesperrt. Es war wie in meinem schlimmsten Alptraum: Alle Ausgänge waren versperrt, und ich hatte keine Chance, mich zu befreien.
    Ich starrte auf den Toten, der zu meinen Füßen auf dem Boden lag. Sicher hatte er die Schlüssel irgendwo in seinem schlichten blauen Overall versteckt, doch ich hätte es beim besten Willen nicht über mich gebracht, mich über ihn zu beugen und in seinen Taschen nachzusehen, weshalb ich erst mal vor das Fenster trat. Es war ein ganz normaler Holzrahmen mit Milchglasfüllung, der jedoch an allen Seiten festgedübelt war. Suchend sah ich mich nach irgendetwas um, um die Scheibe einzuschlagen, doch der Raum war so steril und leer wie ein OP, und abgesehen von den Kisten und den Messern gab es nur noch eine Spüle, zwei einfache Holzstühle mit geraden Lehnen und den Napf, aus dem Lola und ich zu trinken gezwungen gewesen waren. Ich schnappte mir einen der Stühle, drosch mit aller Kraft auf die verfluchte Scheibe ein, freute mich über den Krach, als sie zerbarst, und hätte mit Vergnügen noch ein gutes Dutzend anderer Scheiben eingeschlagen, während das Adrenalin durch meine Adern schoss.
    Ich war sicher davon ausgegangen, dass der Raum in irgendeinem Keller lag. Als echter Nachfolger der Bensons hatte dieser Kerl doch sicher das von Ray in mühseliger Handarbeit errichtete Verlies in allen Einzelheiten nachgebaut. Als ich aber durch das Loch im Fenster starrte, stellte ich voller Entsetzen fest, dass unser Gefängnis mindestens zwei Stockwerke oberhalb der Straße lag. In der Dunkelheit war nicht genau zu sehen, was genau sich unter uns befand, aber ich nahm die Konturen einer Reihe Bäume und darunter eine asphaltierte Straße wahr. Sollten wir versuchen, uns rapunzelmäßig von dort oben abzuseilen, kämen wir ganz sicher nicht ohne Genickbruch unten an.
    Ich trat wieder vor die Tür, als Lola plötzlich sprach.
    »Er bewegt sich«, murmelte sie leise vor sich hin.
    Eilig drehte ich mich um, und dann ging alles furchtbar schnell. Tatsächlich kroch der Kerl auf allen vieren auf die Messer zu und zog eine Spur aus leuchtend rotem Blut hinter sich her.
    »Halt ihn auf!«, schrie Lola aufgeregt.
    Doch aus irgendeinem Grund konnte ich mich nicht bewegen. Irgendwie war ich noch immer wie betäubt und deshalb unfähig, auf die Gefahr zu reagieren.
    Genau in dem Moment, als er seine Finger um das größte Messer seiner Sammlung schloss, stieß mich Lola aus dem Weg, und ich hörte das Knirschen von splitterndem Holz, als sie den zweiten Stuhl auf seinen Schädel krachen ließ. Er rührte sich bereits nicht mehr, als sie das Möbelstück noch einmal auf ihn niedersausen ließ, und als sie zum dritten Mal ausholte, hielt ich sie am Arm zurück.
    Tränen strömten über ihr Gesicht. »Wer zum Teufel ist das überhaupt?«
    Ehe ich sie daran hindern konnte, beugte sie sich vor, zog ihm die Sturmhaube aus dem Gesicht und holte japsend Luft.
    Ich zwang mich, ihn mir ebenfalls kurz anzusehen, riss dann aber verblüfft die Augen auf. Denn das Bild, das sich mir bot, ergab nicht den geringsten Sinn. Das Messer hatte seine Unterlippe ordentlich durchtrennt, weshalb ich eine Reihe makelloser, weißer Zähne sah. Immer noch floss Blut aus den Wunden innerhalb des Mundes, und von seiner Nase war dank Lolas Schlägen nicht mehr viel zu sehen. Obwohl sein ehemals prachtvolles Gesicht von uns gemeinsam übel zugerichtet worden war, wusste ich, dass irgendwo unter dem Blut die Stirn des Kerls in Falten lag.
    »Das ist doch dieser widerliche Spanier, oder?«, fragte Lola mich mit rauer Stimme.
    »Ben.«
    Ich hörte, wie ich seinen Namen wiederholte, und dann wurde es urplötzlich totenstill um mich herum.

37
    Ich war nicht bei Bewusstsein, als die Polizei die Tür einschlug, und als ich wieder zu mir kam, wurde ich auf einer Trage durch das Alvarez’sche Haus geschleppt. Es sah immer noch so makellos wie eine Illustration aus Schöner Wohnen aus.
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