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Im Sturm des Lebens

Im Sturm des Lebens

Titel: Im Sturm des Lebens
Autoren: Nora Roberts
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konnte ich nicht riskieren, und ich konnte den Gedanken nicht ertragen. Mein Baby, Pilar! Mein kleiner Junge mit den losen Schnürsenkeln ... Als ich nach Hause kam, holte ich die Pistole aus dem Safe. Sie lag schon seit Jahren da, ich weiß nicht, warum sie mir gerade in dem Moment in den Sinn gekommen ist. Ich weiß nicht, warum ich sie mitgenommen habe. Ich war wie betäubt. Tony hatte Musik angestellt und eine Flasche Wein aufgemacht. Er saß da und erzählte mir von seinen finanziellen Problemen. Charmant, als wären wir alte, liebe Freunde. Ich kann mich nicht mehr an alles erinnern, was er sagte, ich bin noch nicht einmal sicher, ob ich ihm überhaupt zugehört habe. Er brauchte mal wieder ein Darlehen, wie er es nannte. Dieses Mal eine Viertelmillion. Er sei natürlich bereit, nur die erste Hälfte bis zum Ende der Woche entgegenzunehmen und mir zur Beschaffung der zweiten Hälfte einen weiteren Monat Zeit zu lassen. Schließlich verlange er doch nicht zu viel. Er habe mir so einen wunderbaren Sohn geschenkt.«
    »Ich wusste nicht, dass ich die Pistole in der Hand hielt. Ich wusste nicht, dass ich abgedrückt hatte, bis
ich den roten Fleck auf seinem weißen Smokinghemd sah. Er sah mich überrascht und ein wenig verärgert an. Ich konnte fast hören, wie er sagte: ›Verdammt, Helen, du hast mein Hemd ruiniert.‹ Aber das sagte er natürlich nicht, er sagte gar nichts mehr. Ich fuhr nach Hause und versuchte mir einzureden, es sei nicht geschehen. Es sei überhaupt nicht geschehen. Seitdem trage ich die Pistole mit mir herum. Überallhin.«
    »Du hättest sie wegwerfen können«, sagte Pilar leise.
    »Wie denn? Und wenn einer von euch verhaftet worden wäre? Ich brauchte sie doch, um dann beweisen zu können, dass ich es getan hatte. Ich konnte es doch nicht zulassen, dass er meinem Jungen oder James wehtat. Ich dachte, es wäre vorbei. Und jetzt ... Ich muss es James und Linc zuerst erzählen. Ich muss es ihnen erzählen, bevor ich mich der Polizei stelle.«
    Manchmal muss man gewisse Zyklen unterbrechen, dachte Sophia. »Du könntest ihnen etwas erzählen, wenn du mit dieser Pistole heute Abend nicht mein Leben gerettet hättest.«
    »Ich liebe dich«, sagte Helen einfach.
    »Ich weiß. Und jetzt sage ich dir, was hier heute Abend geschehen ist.« Sie packte Helen bei den Schultern. »Hör mir zu. Du kamst zurück, sahst, wie Jerry auf mich anlegte. Er hatte beide Pistolen mitgebracht  – er hatte vor, sie in meinem Zimmer zu deponieren, um mich zu belasten. Wir haben miteinander gerungen, und die Pistole, durch die mein Vater umgebracht wurde, lag plötzlich auf dem Boden neben der Türschwelle. Du hast sie aufgehoben und ihn erschossen, bevor er mich erschießen konnte.«
    »Sophia ...«
    »Genau das ist passiert.« Sie drückte Helens Hand und ergriff die Hand ihrer Mutter. »Oder, Mama?«
    »Ja. Genau das ist passiert. Du hast mein Kind gerettet. Glaubst du nicht, ich würde das Gleiche auch für dich tun?«
    »Ich kann nicht.«
    »Doch, du kannst. Du willst mir gegenüber alles wiedergutmachen?«, fragte Pilar. »Dann verhalte dich auch so. Mir ist egal, was in einer Nacht vor fast dreißig Jahren passiert ist. Für mich zählt nur, was heute Abend passiert ist. Und für mich zählt, was du für mich mein ganzes Leben lang gewesen bist. Ich lasse nicht zu, dass jemand zerstört wird, den ich liebe. Wofür denn? Für Geld, Stolz, Ansehen? Wenn du mich liebst, wenn du deinen Fehler von damals unbedingt wiedergutmachen willst, dann tust du genau das, worum Sophie dich bittet. Tony war ihr Vater. Wer also hat mehr Recht, das zu entscheiden, als sie?«
    »Jerry ist tot«, sagte Sophia. »Er hat getötet, gedroht, zerstört – und das alles nur wegen des egoistischen Verhaltens meines Vaters. Und damit endet alles. Ich rufe jetzt die Polizei. Jemand sollte mal nach René sehen.« Sie beugte sich vor und gab Helen einen Kuss auf die Wange. »Danke. Für den Rest meines Lebens.«
     
    Spät in der Nacht saß Sophia in der Küche und trank Tee mit Cognac. Sie hatte ausgesagt und hatte neben Helen gesessen und ihr die Hand gehalten, als auch diese ihre Aussage machte.
    Gerechtigkeit kommt nicht immer so daher, wie man es erwartet, dachte sie. Das hatte Helen einmal
gesagt. Und so war es auch jetzt. Unerwartete Gerechtigkeit. Es hatte nicht geschadet, dass René hysterisch geworden war und ständig auf Claremont und Maguire eingeredet hatte, dass Jerry wahnsinnig und ein Mörder gewesen sei und sie mit
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