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Im Sommer der Sturme

Im Sommer der Sturme

Titel: Im Sommer der Sturme
Autoren: Gantt DeVa
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Schluck.
    Charmaine schnappte nach Luft, als Yvette seine Geste mit ihrem Wasserglas imitierte. Rasch nahm Rose ihr das Glas aus der Hand. »Eine junge Lady macht so etwas nicht«, ermahnte sie das Mädchen leise. Trotzdem sah Yvette voller Bewunderung zu John hinüber, was dieser mit einem kleinen Zwinkern belohnte.
    Anschließend wandten sie sich wieder ihren Tellern zu und begannen alle gleichzeitig zu reden. Paul und George tauschten Erinnerungen aus, nur John war ungewöhnlich schweigsam. Wenn er schwieg, wurde Charmaine nervös. Warum hatte sie den kleinen Pierre nur Rose überlassen? Ihm beim Essen zu helfen, das wäre jetzt genau die richtige Ablenkung. Als sie dem Kleinen zulächelte und er ihr Lächeln erwiderte, bemerkte sie, dass auch Johns Blick auf dem Jungen ruhte.
    Sie konzentrierte sich auf ihren Teller, doch das Gefühl, dass John sie beobachtete, wollte nicht weichen. Er kann mich doch nicht ständig ansehen! Als sie vorsichtig in seine Richtung blickte, bereute sie es sofort. Offenbar hatte er ihren Blick gespürt. Er zog eine Braue in die Höhe, und seine braunen Augen musterten sie spöttisch. Charmaines Zorn wuchs. Sie hatte nicht die Absicht, sich weiterhin so unter Druck setzen zu lassen.
    Als ob John ihre Gedanken erahnt hätte, wandte er sich direkt an sie. »Ich kann mich gar nicht erinnern, dass ich Sie früher schon auf Charmantes gesehen hätte, Miss Ryan. Ich weiß, dass Sie jünger sind als ich, aber Sie sprechen nicht wie eine Insulanerin. Wenn ich mich nicht irre, höre ich sogar einen leichten Südstaatenakzent. Wie haben Sie denn diese Stellung hier gefunden?«
    Zu Charmaines Erleichterung meldete sich Paul zu Wort. »Miss Ryan kam direkt aus den Staaten, um sich für diese Stellung zu bewerben. Sie hatte alle nötigen Qualifikationen und wurde als Gouvernante eingestellt.«
    John stützte die Ellenbogen auf den Tisch und klopfte mit den Fingern rhythmisch gegen seine Lippen. »Und wer hat entschieden, dass Miss Ryan diese nötigen Qualifikationen besitzt? Du etwa? In diesem Fall bezogen sie sich wohl weniger auf das Interesse der Kinder .«
    Keinem entging, worauf John anspielte. Paul knirschte mit den Zähnen. »Colette hat dieses Gespräch geführt und sich für Miss Ryan entschieden.«
    Die Blicke der Kontrahenten hielten stumm Zwiesprache.
    »Eine höchst bedenkliche Entscheidung, wenn du mich fragst«, warf Agatha ein. »Miss Ryans Herkunft ist äußerst fragwürdig. In meinen Augen hat sie ihren Vorteil gesucht und sich unter Zuhilfenahme einiger Mitglieder dieser Familie in diesem Haus eingeschlichen.«
    Paul öffnete den Mund, um zu protestieren, aber John schlug ihn um Haaresbreite. »Beschreibst du eigentlich Miss Ryan, Auntie, oder dich selbst?«
    Agatha stöhnte auf, was John genüsslich auf sich wirken ließ. »Ich glaube nicht, dass Miss Ryan so gerissen ist«, fuhr er fort. »Den Geschickten erwischt man nicht.«
    Agatha war wütend, sagte aber nichts.
    Charmaine erschrak darüber, wie unverfroren John auf die Sache mit Colettes Brief anspielte und wie er zwei Menschen im selben Atemzug diskreditierte. Wäre sie nicht ebenfalls betroffen, so hätte es ihr gefallen, dass Agatha endlich ihren Meister gefunden hatte.
    »Erzählen Sie doch einmal, Miss Ryan«, fuhr John fort, »was Sie dazu gebracht hat, Ihre Familie und sogar Ihre Freunde zu verlassen, um sich so weit entfernt um eine Stelle zu bewerben.«
    Paul wollte Charmaine ein zweites Mal zu Hilfe kommen, aber John hob die Hand. »Miss Ryan kann wohl für sich selbst sprechen, oder nicht? Erlaube ihr , die Frage zu beantworten. Wenn du es tust, muss ich wieder endlos graben, bis ich auf die Wahrheit stoße.«
    In der darauf folgenden Stille wirbelten die Gedanken durch Charmaines Kopf. Paul zwinkerte ihr aufmunternd zu, was ihm einen Rüffel seines Bruders eintrug, aber sie fühlte sich gestärkt und konnte ebenso ruhig antworten wie zuvor Paul. »Ich wohnte damals in Richmond. Als meine Mutter starb, musste ich selbst für mich sorgen. Die Freunde, für die ich damals in Richmond gearbeitet habe, haben von der vakanten Stelle einer Gouvernante auf Charmantes gehört, weil sie hier auf der Insel Ver wandte haben.«
    »Ach, wirklich?«
    »Ja, wirklich! Als ich davon erfuhr und Interesse zeigte, haben sie mich sogar bis hierher begleitet.«
    Die unvermeidliche Frage folgte auf dem Fuß. »Und was war mit Ihrem Vater?«
    Na also , dachte Charmaine, da waren sie wieder: Anne Londons miese Indiskretionen . Sie hatte
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