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Im Schwarm - Ansichten des Digitalen

Im Schwarm - Ansichten des Digitalen

Titel: Im Schwarm - Ansichten des Digitalen
Autoren: Byung-Chul Han
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allem gezählt. Die Freundschaft ist aber eine Erzählung. Das digitale Zeitalter totalisiert das Additive, das Zählen und das Zählbare. Sogar Zuneigungen werden in Form von Gefällt-mir gezählt. Das Narrative verliert massiv an Bedeutung. Heute wird alles zählbar gemacht, um es in die Sprache der Leistung und Effizienz umwandeln zu können. So hört heute alles, was nicht zählbar ist, auf, zu sein.

VOM BAUER ZUM JÄGER
    »Die Hand handelt«, so kennzeichnet Heidegger das Wesen der Hand. 27 Aber er begreift das Handeln nicht von der vita activa her. Die »eigentlich handelnde Hand« ist vielmehr die »schreibende Hand«. 28 So manifestiert sich ihr Wesen nicht als Handlung, sondern als Handschrift. Die Hand ist für Heidegger das Medium für das »Sein«, das den Quellgrund von Sinn und Wahrheit bezeichnet. Die schreibende Hand kommuniziert mit dem »Sein«. Die Schreibmaschine, bei der nur die Fingerspitzen zum Einsatz kämen, entfernt uns vom Sein: »Die Schreibmaschine verhüllt das Wesen des Schreibens und der Schrift. Sie entzieht dem Menschen den Wesensbereich der Hand, ohne dass der Mensch diesen Bezug gebührend erfährt und erkennt, dass sich hier bereits ein Wandel des Bezuges des Seins zum Wesen des Menschen ereignet hat.« 29 Die Schreibmaschine führt zu einer Atrophie der Hand, zum Verfall der schreibenden Hand, ja zur Seinsvergessenheit. Zweifellos hätte Heidegger gesagt, dass der digitale Apparat diese Atrophie der Hand noch verschlimmert.
     
    Heideggers Hand denkt, statt zu handeln: »Jede Bewegung der Hand in jedem ihrer Werke trägt sich durch das Element, gebärdet sich im Element des Denkens. Alles Werk der Hand beruht im Denken.« 50 Das Denken ist ein Hand-Werk. So würde die digitale Atrophie der Hand das Denken selbst verkümmern lassen. Es ist interessant zu sehen, dass Heidegger die Hand so entschieden dem Handeln entzieht und dem Denken annähert. Nicht das Ethos, sondern der Logos macht ihr Wesen aus. Dabei denkt Heidegger den Logos von der lesenden Hand eines Bauern her: »Ohne dieses Versammeln, d.h. ohne die Lese im Sinne der Ähren- und Weinlese, vermöchten wir nie [...] ein Wort zu lesen.«" Heidegger lässt den Logos damit als Habitus des Bauern erscheinen, der die Sprache wie Ackerboden pflegt, pflügt und beackert, wobei er mit der sich verbergenden, verschlossenen Erde kommuniziert und sich deren Unberechenbarkeit und Verborgenheit aussetzt. Der Bauer hat auf die Erde zu hören, indem er ihr gehorcht: »Wenn zum Hören im Sinne der Horchsamkeit und des Gehorsams unmittelbar nicht die Ohren gehören, dann hat es überhaupt unmittelbar eine eigene Bewandtnis mit dem Hören und den Ohren. [...] Wir haben Ohren, weil wir horchsam hören können und bei dieser Horchsamkeit auf das Lied der Erde hören dürfen, auf ihr Erzittern und Beben, das doch unberührbar bleibt von dem riesenhaften Lärm, den der Mensch auf ihrer vernutzten Oberfläche bisweilen veranstaltet.« 32
     
    Auch Heideggers Welt aus »Erde und Himmel, Sterblichen und Göttlichen« ist eine bäuerliche Welt. Der Mensch als »Sterblicher« ist kein Handelnder. Ihm fehlt die Natalität des Neubeginns. Auch sein Gott ist ein Gott der Bauern, die hörend und gehorsam sind. Er hat seinen Platz in jenem »Herrgottswinkel« im »Schwarzwaldhof«, der sich dem »bäuerlichen Wohnen« verdankt. 33 In Der Ursprung des Kunstwerkes beschreibt Heidegger van Goghs Schuhe als Bauernschuhe, wobei er die bäuerliche Welt verklärt: »Aus der dunklen Öffnung des ausgetretenen Inwendigen des Schuhzeuges starrt die Mühsal der Arbeitsschritte. In der derbgediegenen Schwere des Schuhzeuges ist aufgestaut die Zähigkeit des langsamen Ganges durch die weithin gestreckten und immer gleichen Furchen des Ackers, über dem ein rauher Wind steht. [...] In dem Schuhzeug schwingt der verschwiegene Zuruf der Erde, ihr stilles Verschenken des reifenden Korns und ihr unerklärtes Sichversagen in der öden Brache des winterlichen Feldes.« 34
     
    Statt jenem rauen Wind auf dem Acker bläst heute der digitale Sturm durch die Welt als Netz. Die Orkane des Digitalen machen Heideggers »Wohnen« unmöglich. Die »Erde« des Heideggerschen Bauern ist dem Digitalen diametral entgegengesetzt. Sie verkörpert das »wesenhaft Unerschließbare« und das »wesenhaft Sichverschließende«. 35 Das Digitale erzeugt dagegen einen Zwang zur Transparenz. Die »Erde« entzieht sich jeder Transparenz. Ihre Verschlossenheit ist der Information grundsätzlich
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