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Im Schatten (German Edition)

Im Schatten (German Edition)

Titel: Im Schatten (German Edition)
Autoren: Dagmar R. Rehberg
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Schreibtisch ihrer Mutter. Er war aufgeräumt, und es befanden sich kaum persönliche Sachen dort. Ein Bild von Katherine und Norman, als sie noch klein gewesen waren, ein Füller, eine kleine, halb mit Lakritzen gefüllte Bonboniere, ein Täschchen mit Hygieneartikeln in der untersten Schublade ihres Schreibtischschränkchens. Es waren kaum wertvolle Gegenstände und dennoch wollte Katherine verhindern, dass sie in die Hände anderer gerieten und vielleicht sogar achtlos in den Mülleimer geworfen wurden. Während sie die Sachen in einen Karton legte, den einer der Architekten ihr gebracht hatte, registrierte Katherine die Kollegen, die noch immer betroffen schweigend oder leise tuschelnd im Raum beieinanderstanden. Nur eine der Zeichnerinnen war zu ihrem Platz zurückgekehrt und starrte verbissen auf ihren Monitor. Bevor Katherine die oberste Schreibtischschublade schloss, fuhr sie noch einmal mit einer Hand in die hintersten Ecken hinein, dorthin, wo kein Blick hinkommen konnte. Plötzlich hielt sie einen kleinen Gegenstand in der Hand, holte ihn heraus und betrachtet ihn interessiert. Es war ein fein gearbeitetes, silbernes Armband mit einem kleinen Delfin aus bräunlichem Stein daran. Ihre Mutter hatte es in den letzten Monaten getragen, Katherine wusste jedoch nicht, woher sie es hatte. Warum nur hatte sie es nun in die hinterste Ecke ihrer Schreibtischschublade getan? Sie wollte es gerade zu den anderen Sachen legen, als sie Mark leise fragen hörte:
    » Darf ich es behalten? Als Erinnerung. Ich werde es in Ehren halten, das verspreche ich.«
    Eine Weile sah Katherine ihn unschlüssig an. Seine Augen waren voll tiefer Trauer, aber auch das Entsetzen über die unerwartete Nachricht war noch nicht daraus verschwunden. Lang sam nickend reichte sie ihm das Schmuckstück, und er nahm es behutsam entgegen. Sie wusste nicht warum, doch er machte beinahe den Eindruck auf sie, als wäre etwas in ihm zerbrochen.
     
    Zwei Tage später wurde Katherines Vater Werner aus dem Krankenhaus entlassen. Er war noch immer schweigsam und schien das alles nicht zu begreifen. Auf Fragen antwortete er mechanisch, genauso wie er sein Essen aß. Katherine kümmerte sich so gut es ging um ihn und ihren Bruder, der sich überwiegend in seinem Zimmer verkroch und stundenlang Musik über Kopfhörer hörte. Auf dem Weg zur Trauerfeier führte sie ihren Vater, der wie in Trance war. Zusammen gingen die Drei noch einmal zu Valerie, die hübsch zurechtgemacht in einem kleinen Raum im Krematrium aufgebahrt war. Nichts an ihrem Aussehen ließ auf einen gewaltsamen Tod schließen. Weder Katherine noch Norman konnte die Tränen zurückhalten, als sie sich verabschiedeten. Doch Katherine empfand auch eine enorme Erleichterung darüber, dass ihr Vater ein anderes Bild als das der erhängten Valerie als letzte Erinnerung behalten würde.
    Es dauerte noch eine Stunde, bis die Trauerfeier beginnen sollte. Langsam gingen sie die Straßen in der Nachbarschaft entlang, auf und ab, bis es Zeit war, den Saal zu betreten. Der Sarg war dort verschlossen aufgestellt und mit einem Kranz verziert. Sie gingen darauf zu, legten die mitgebrachten Blumen ab und blieben eine Weile schweigend stehen. Dann nahmen sie ihre Plätze ein. Der Saal füllte sich, die Familie war gekommen, Tanten, Onkel, Katherines Großmutter und viele mehr. Auch Nachbarn und Bekannte waren unter den Trauergästen, brachten Blumen und kleinen Grabschmuck. Zwei Kollegen von Valerie trugen einen Kranz mit einer Schleife, auf dem ein Gruß und alle Namen standen. Hinter ihnen kamen die anderen Kollegen und ganz zum Schluss, Seite an Seite, ihr alter und ihr neuer Chef. Mark Mühlau legte einen kleinen Strauß aus dunkelroten Nelken auf den Sarg. So ein Zufall, Mamas Lieblingsblumen , dachte Katherine, während sie beobachtete, wie Mark mit gesenktem Kopf und einer Hand auf dem Sarg eine Weile dort stehen blieb. Er muss sie wirklich sehr geschätzt haben , dachte sie, als er schließlich zu der Sitzreihe ging, in der seine Mitarbeiter bereits Platz genommen hatten.

05 . April 2008
     
    Katherine hatte das Gefühl bald wahnsinnig zu werden. Noch immer konnte sie nicht begreifen, dass ihre Mutter nicht mehr da sein sollte. Immer wieder erwischte sie sich dabei, wie sie einfach bei ihr anrufen oder ihren Vater mit einem »Grüß Mama« verabschieden wollte. Und wenn die Erkenntnis kam, machte sich gleichzeitig wieder die tiefe Fassungslosigkeit in ihr breit. Sie saß Abend für Abend zu Hause,
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