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Im Schatten der Pineta

Im Schatten der Pineta

Titel: Im Schatten der Pineta
Autoren: Marco Malvaldi
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was du vorliest.«
    Massimo hatte sich mittlerweile damit abgefunden, dass die Alten immer wieder über das Verbrechen diskutierten. Was soll’s, dachte er. Aber dann lest die Artikel wenigstens so vor, dass ich was verstehe, denn bei der vielen Arbeit hier komme ich überhaupt nicht mehr zum Lesen. Es ist schon irritierend genug, wenn Rimediotti jedes Wort, das er nicht kennt, beim Vorlesen buchstabiert.
    »Massimo hat recht«, sagte Aldo. »Du bist wie diese Fußnoten in den alten Büchern. Lies doch zuerst vor, was da steht, und hinterher gibst du deine Kommentare ab.«
    Großvater Ampelio murmelte etwas in seinen Bart – alle, ob Jung oder Alt, seien Faschisten oder so etwas in der Art –, nahm die Zeitung wieder auf und las den Artikel zu Ende vor, ohne weitere Zwischenkommentare abzugeben. Der Bericht förderte ohnehin keine neuen Erkenntnisse zutage, außer der, dass »die Ermittler bezüglich des möglichen Mordmotivs von Pigi äußerste Zurückhaltung« wahrten.
    »Das heißt, sie haben keinen blassen Schimmer«, lautete Ampelios abschließender Kommentar, dem niemand widersprach.
    »Weißt du vielleicht mehr?«, fragte Del Tacca polemisch.
    »Nein, ich weiß gar nichts.«
    »Aber es deutet tatsächlich einiges darauf hin, dass er es gewesen ist«, meinte Aldo. »Er ist auffällig groß, kein Mensch weiß, wo er am Abend der Tat gewesen ist, und wie es der Zufall will, hat der Täter gewartet, bis die Disco zugemacht hat, um die Leiche zu verstecken, also wirklich.«
    »Ich gebe«, sagte Del Tacca. »Aber es wär nicht schlecht, wenn ich hin und wieder auch mal was bekäme … Ich frag mich nur, aus welchem Grund er sie hätte umbringen sollen?«
    »Weil er sie dick gemacht hat!«, platzte Ampelio heraus. »Und weil sie nicht abtreiben wollte, hat er sie umgebracht.«
    »Ja, genau, und dann ist Savonarola gekommen und hat ihm eine Medaille umgehängt«, sagte Del Tacca. »Also wirklich, Ampelio, wir leben schließlich nicht mehr im Mittelalter.«
    »Ich halte es durchaus für plausibel«, meinte Aldo. »Nicht, dass er es kaltblütig getan hat, oh nein. Aber wie oft hört man von jungen Männern, die ihre Freundin umbringen, weil sie von ihr verlassen wurden? Wenn früher, als du noch jung warst, ein Mädchen aus heiterem Himmel zu dir gesagt hätte, dass sie schwanger von dir ist, wärst du da nicht in Panik geraten? Und erst einer wie Pigi, mit seinem Lebenswandel …«
    »Aber auch wenn er sie dick gemacht hat, heißt das noch lange nicht, dass er sie deswegen umgebracht hat. Was meinst du, Tiziana?«, sagte Rimediotti, der eine Minute zuvor hereingekommen war und den Anfang der Diskussion verpasst hatte.
    Tiziana fuhr ungerührt fort, Brötchen in zwei Hälften zu schneiden, und erwiderte mit säuerlicher Miene: »Ich bin der Ansicht, dass ›schwängern‹ ein Ausdruck ist, den man auch benutzen könnte und den jeder auf Anhieb verstehen würde, und wenn trotzdem jemand meint, so geistreiche Synonyme wie ›dick machen‹ gebrauchen zu müssen, vergifte ich ihm seinen Magenbitter.«
    »Die ist vielleicht empfindlich«, murmelte Ampelio.
    »Also, wir können noch lange spekulieren«, sagte Del Tacca, »aber, wenn ihr mich fragt, hat auch die Polizei kein Tatmotiv für Pigi.«
    »Sehr richtig«, ließ sich Dr. Carli vernehmen, der gerade zur Tür hereinkam. »Nicht einmal das, von dem hier gerade die Rede war.«
    Tatatata. Es tritt auf: der Dottore, und alle drehen sich um – typischer Fall von magnetischer Anziehungskraft –, nur um festzustellen, dass es doch nicht Claudia Schiffer ist.
    »Einen guten Morgen an die Gerichtsmedizin«, sagte Massimo. »Wollen Sie was trinken?«
    »Wenn ich selbst entscheiden darf, dann gerne.« Die Stimme des Arztes hatte einen leicht bitteren Unterton. Dem ist wohl ’ne Laus über die Leber gelaufen, dachte Massimo.
    »Natürlich können Sie selbst entscheiden. Was für eine Frage. Sie können bestellen, was Sie wollen«, erwiderte Massimo, ganz der professionelle Barista. »Ob das Bestellte dann in einer Zeit kommt, die Ihnen annehmbar erscheint, steht auf einem anderen Blatt.«
    »Na gut. Aber bedenken Sie, dass ich einen trockenen Mund habe, und mit trockenem Mund lässt es sich nicht so gut reden. Und das wäre schade, denn ich hätte einiges zu erzählen. Einen Cappuccino, bitte.«
    Massimo ging schweigend zur Kaffeemaschine und schäumte die Milch auf.
    »Oh, gutes Argument, das muss ich auch mal ausprobieren«, sagte Ampelio.
    »Das würde nichts nützen.«
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