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Im Schatten der Giganten: Roman

Im Schatten der Giganten: Roman

Titel: Im Schatten der Giganten: Roman
Autoren: David Tallerman , Andreas Brandhorst
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erforderte die Situation einen Wechsel der Taktik.
    »Zuerst einmal, weg mit den Pfeilen. Sie sind unansehnlich.«
    Salzleck riss sich die beiden Pfeile aus dem Körper, die er während des Kampfes abbekommen hatte, und es schien ihm nicht mehr Unbehagen zu bereiten als mir die Entfernung eines Dorns. Er zuckte nicht einmal zusammen. Dass es ihm nicht gefallen hatte, beschossen zu werden, zeigte er nur, indem er die Pfeilschäfte in der Hand zermalmte, bevor er die Splitter fallen ließ.
    »Schon besser. Jetzt geh zum Zelt dort.« Ich zeigte darauf. »Achte darauf, was ich sage, und versuch krank auszusehen.«
    Salzleck stapfte zu dem blutroten Pavillon und blieb vor den beiden Wachen stehen. Sie sahen fragend hoch, doch es schien sie nicht sonderlich zu überraschen, dass ein Riese vor ihnen stand. Das fand ich vielversprechend, soweit es meinen Plan betraf.
    »Was wollt ihr?«, fragte der rechte Wächter.
    »Es geht um eine dringende Sache, auf direkten Befehl von Moaradrid.«
    Der Mann antwortete nicht, richtete nur einen finsteren Blick auf mich.
    »Er schickt mich wegen der Medizin.«
    Noch immer keine Antwort. Dies schien ein Tag für Monologe zu sein.
    »Der Riese ist krank, und vielleicht auch einige andere. Moaradrid hat uns beauftragt, die Arzneiflasche zu holen, die er hier aufbewahrt. Er betonte, wie wichtig es sei, dass ich sie ihm sofort bringe.«
    »Wie lautet die Losung für heute?«, fragte der andere Wächter.
    Mir gingen sofort einige Worte durch den Kopf, aber ich bezweifelte, dass eins von ihnen das richtige war. »Eine Losung hat Moaradrid nicht erwähnt. Nun, ich hätte nichts dagegen, den ganzen Morgen Nettigkeiten mit euch auszutauschen, aber leider habe ich meine Befehle, und ich möchte vermeiden, wegen Ungehorsam enthauptet zu werden, wenn’s euch recht ist.«
    »Keine Losung, kein Zutritt zum Zelt«, sagte der erste Wächter.
    Hier war meine Chance, den törichten Plan aufzugeben und zu fliehen, solange ich noch Gelegenheit dazu hatte. Allerdings ist es mir immer schwergefallen, Herausforderungen den Rücken zu kehren, erst recht einer, die mir Geld einbringen könnte. »Eigentlich brauche ich gar nicht selbst hinein«, sagte ich. »Einer von euch kann für mich gehen. Es ist eine Flasche, etwa so groß. Wahrscheinlich steht was Medizinisches darauf, oder sie zeigt das Bild eines Riesen. Vermutlich aus Glas oder Ton. Wenn einer von euch so freundlich wäre, sie mir zu bringen … Dann mache ich mich sofort wieder auf den Weg.«
    Die beiden Wachen rührten sich nicht von der Stelle.
    »Himmel und verflucht!«, rief ich. »Dieses arme Geschöpf hat eine entzündete Magenaufblähung, und während wir hier reden, geht es ihm immer schlechter.«
    Ich hatte einen plötzlichen Geistesblitz, zog das beim Kartenspiel gewonnene Messer aus dem Stiefel und drückte die Spitze an Salzlecks Schulter. Er brummte gereizt.
    »Wollt ihr dafür verantwortlich sein? Möchtet ihr hier sauber machen, wenn es schließlich aus ihm herausbricht?«
    Ich beobachtete, wie ein Hauch Sorge durch die Gesichter der beiden Wächter ging.
    »Wie sieht die Flasche noch einmal aus?«, fragte der linke.
    »Eine Flasche. Mit Medizin.«
    Er nickte und verschwand im Zelt. Eine Minute verging, dann eine weitere. Klappernde Geräusche erreichten uns. Schließlich schlug er die Zeltplane am Eingang beiseite, kam wieder nach draußen und präsentierte eine bauchige Flasche aus grauem Ton.
    »Meine Güte«, sagte ich und seufzte theatralisch. »Auf die Knie, Salzleck.«
    Er kam der Aufforderung nach, und ich kletterte am Rückennetz in Richtung Boden, wobei ich den Eindruck zu erwecken versuchte, das nicht zum ersten Mal zu machen. Ich ging zu dem Wächter, nahm ihm die Flasche ab und winkte damit vor seinem Gesicht. Er zuckte sogar zusammen.
    »Weißt du, was dies ist?«
    »Medizin?«
    »Nein. Keine Medizin.«
    Ich zog den Stöpsel heraus und schnupperte. Nach dem scharfen, ranzigen Geruch zu urteilen, hätte es durchaus irgendein Kräutermittel sein können. Ich nahm einen großen Schluck. Besser gesagt, ich gab vor, einen großen Schluck zu nehmen, ein Trick, den ich beim Kartenspielen gelernt hatte. Doch ein bisschen von dem Zeug rann mir tatsächlich durch die Kehle. Es schmeckte schlimmer, als es roch, und ich hoffte, dass es nicht giftig war. Als ich sicher sein konnte, mich nicht übergeben zu müssen, schenkte ich dem Wächter ein Lächeln und sagte: »Vielleicht Medizin für die Seele eines Mannes, aber dem Magen des
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