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Im Namen der Engel

Im Namen der Engel

Titel: Im Namen der Engel
Autoren: Mary Stanton
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Erdschicht innerhalb eines Monats absank, manchmal um mehr als dreißig Zentimeter. Bree spähte durch das Riffelglas zu den Gräbern hinaus. Es sah so aus, als wären alle Leichen ohne viel Feder lesens in die Grube geworfen worden, zweifellos ohne Sarg, vielleicht sogar ohne Leichentuch.
    Igitt! Kein sonderlich schöner Anblick für potenzielle Klienten.
    Sie fuhr zusammen, weil sie plötzlich den Hauch eines warmen Atems im Nacken spürte. »Tut sich da draußen was?« Lavinia stand direkt hinter Bree und blickte ihr über die Schulter. »Besonders auf diesen Josiah Pendergast muss man achtgeben.«
    »Was soll sich denn da tun?«, rief Bree erstaunt aus, um schnell hinzuzufügen: »Aber nein, Madam.«
    »Gut«, erwiderte Lavinia mit zufriedenem Ächzen. »Vielleicht findet der Ort schon jetzt Gefallen an Ihnen.«
    »Was genau«, fragte Bree, nachdem sie einen Moment lang beunruhigt auf das Grab mit der Inschrift R.I.P.J. PENDERGAST gestarrt hatte, »meinen Sie mit der Formulierung, ›ob sich dort draußen etwas tue‹?«
    »Verständlich, dass Sie diese Frage stellen, aber ich werde sie Ihnen nicht beantworten. Das ist etwas, das Sie selbst herausfinden müssen, Schätzchen. Vor allem wenn man bedenkt, wer Sie sind.« Lavinia wurde plötzlich hartnäckig und schob die Unterlippe vor. »Nehmen Sie die Räume nun oder nicht?«
    »Ich … tja …« Unentschlossen wandte sich Bree vom Fenster ab. Ein Friedhof! Ihre Eltern würden einen Anfall bekommen. »Ich habe nicht damit gerechnet, dass ich nach Büroräumen suchen muss«, gestand sie ein. »Mein Großonkel Franklin ist gestorben und hat mir seine Anwaltskanzlei hier in Savannah hinterlassen.«
    »Franklin Winston-Beaufort.« Betrübt fuhr sich Lavinia mit der Hand über den Mund. »Dieses Feuer hat ihm den Garaus gemacht, nicht wahr? Die arme Seele. Die arme Seele. Er hat sich übernommen, das hat er wirklich. Konnte von den Möbeln denn was gerettet werden? Oder sind die alle in Rauch aufgegangen?« Einen kurzen, visionären Augenblick lang schien die alte Dame von Flammen umgeben. Ihr weißes Haar verwandelte sich in einen feurigen Heiligenschein, der ihr dunkles, runzliges Gesicht umkränzte.
    Unwillkürlich trat Bree einen Schritt zurück, worauf die Vision verschwand. »Was wissen Sie über meinen Onkel?«, fragte sie fast flüsternd.
    Lavinia schüttelte bedächtig den Kopf. »Unfälle wie dieser machen in einer Stadt wie der unseren sofort Schlagzeilen«, sagte sie. »Das können Sie sich doch sicher vorstellen.«
    »Das kann ich«, entgegnete Bree. Sie rieb sich die Augen. Seit ihrer Ankunft in Savannah schlief sie nicht gut. Sie war übermüdet, das war alles. »Nein, es konnte nicht viel gerettet werden. Sein Schreibtisch. Ein Stuhl. Das Feuer, in dem er umkam, war heftig, blieb aber ganz auf seine Büroräume beschränkt. Der Rest des Gebäudes hat nichts abbekommen.«
    »Sie sprechen von diesem Gebäude in der Nähe der Synagoge, ja? Wie ich gehört habe, wird es von irgendeinem Bauunternehmen von oben bis unten renoviert.«
    Bree lächelte trübselig. »Stimmt. Deshalb kann ich auch noch nicht einziehen. Im Testament meines Onkels ist genau festgelegt, dass ich seine Klienten erben soll. Aus dem Grund sehe ich mir gerade verschiedene Räumlichkeiten an, um vorübergehend irgendwo unterzukommen, und die hier …«
    »Räumlichkeiten«, wiederholte Lavinia in bissigem Ton. »Ha. Und liegen welche von diesen Räumlichkeiten nur vier Blocks von Ihrer Wohnung entfernt?«
    »Nein.« Bree fuhr sich mit den Fingern durchs Haar. Woher wusste die alte Dame, wo sie wohnte?
    »Und darf man Hunde in diese Räumlichkeiten mitbringen?«
    Bree sah sie verwundert an. »Mrs. Mather, ich habe keinen Hund. Und ich kann mich nicht erinnern, erwähnt zu haben, wo ich wohne.«
    Lavinia zeigte mit einem ihrer knochigen Finger auf Brees wundervoll geschnittenes, graues Nadelstreifenkostüm, das sie sich vor Kurzem bei Saks Fifth Avenue in Raleigh-Durham gekauft hatte. »Ich fress ’nen Besen, wenn das keine Hundehaare sind«, stellte sie kurz und bündig fest. »Ein alleinstehendes Mädchen wie Sie denkt gewöhnlich mehr an ihren Hund als an ihre Ma.«
    Bree klopfte sich den Rock ab. Am Saum hafteten etliche goldgelbe Haare, als hätte ein großer Golden Retriever seinen Kopf an ihrem Knie gerieben. Sie öffnete den Mund, um zu widersprechen. Sie hatte doch gar keinen Hund. Sie war auf dem Weg zu diesem Treffen auch keinem Hund begegnet. Und warum nahm Lavinia
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