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Im Labyrinth der Fugge

Im Labyrinth der Fugge

Titel: Im Labyrinth der Fugge
Autoren: Rebecca Abe
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Wie selbstverständlich hatte die Freundin die Aufgaben einer Zofe übernommen, wich nicht mehr von ihrer Seite, reichte Anna die Leibschüssel, wusch sie und zog frische Laken auf. Konnte sie ihr jemals für alles danken?
    Selbst das Schlucken fiel Anna schwer. Hechelnd verlangte sie weiter nach der Brühe, alles in ihrem Inneren schien wie auf einem heißen Stein zu verdunsten.
    »Der letzte Löffel, du Tapfere.« Barbara stellte den geleerten Teller beiseite. »Severin hat die Zubereitung der Suppe überwacht. Nach einer Familienrefeptur. Gräfin Anna Fuggerin muff allef effen, wonft wirkt ef nicht.« Sie ahmte das Lispeln des alten Fuggerdieners nach und rang Anna ein Lächeln ab. »Das kräftigt dich, du wirst sehen.«
    Seit Anna denken konnte, diente Severin ihrer Familie, von Generation zu Generation weitergereicht wie ein Möbelstück. Soviel sie wusste, hatte er als Stiefelknecht bei ihres Vaters Oheim Anton begonnen, dann war er der Leibdiener ihres verhassten Oheims Christoph gewesen, der empfahl ihn an ihren Vater weiter und nach dessen Tod hatte Severin nun um Anstellung bei ihr gebeten. Als kleines Kind duldete sie ihn neben sich, diesen hageren, baumlangen Mann, der sich wie sie am liebsten in der Küche aufhielt, dem behaglichsten Ort im Fuggeranwesen: Schellebelles Reich. Erst später, als die Küche zum Spiegel des Teufels wurde, fürchtete Anna Severin. Nie hätte sie es für möglich gehalten, dass er sich eines Tages um ihr leibliches Wohl sorgte.
    Als der Schmerz verebbte, suchte sie nach den verblassenden Traumbildern. Im Schlaf hatte sie noch in Schellebelles Ziegenköttelaugen gesehen, die Glut des Feuers flackerte darin. Das erdachte Lied ihrer Schwester Virginia war in ihren Ohren erklungen. Sie presste ein paar Töne hervor. Nein, sie würde nicht sterben, noch nicht. Der Geruch nach verbranntem Fleisch stieg ihr in die Nase. Die Suppe, was sonst. Sie sank zusammen.
    »An was denkst du, lass mich teilhaben.« Barbara klopfte die Kissen aus und drückte Anna sanft hinein.
    Anna ergriff ihre Hand, dachte an ihre eigenen schwarzfleckigen Hände und wie sie sie damals in den bortenverzierten Falten ihres Brokatkleides verborgen hatte. »Ach, eine Erinnerung nur. Als ich vierzehn war, glaubte unsere Köchin, mich würde der Schwarze Tod holen.«
    Barbara musterte sie ernst.
    »Dabei hatte ich nur Tusche verschüttet. Tusche aus den getrockneten und gemörserten Tintenblasen des Oktopus, die meinen Vater ein Vermögen gekostet hatte.«
    Ereignisse, die viele Jahre auseinanderlagen, fügten sich zusammen. Seit Tagen zog ihr ganzes Leben an ihr vorbei, sobald sie die Augen schloss. Die Erinnerungen reihten sich auf, und immer wenn ihre liebe Freundin Barbara sie wachrüttelte und zum Essen zwang, hatten die Gespinste in der Schlafkulisse Zeit, das Bühnenbild zu wechseln.
    Sie, Anna Fuggerin, war so unendlich müde, und ein neuer Auftritt stand bevor. Sie würde weiterleben, sie musste leben, sonst wäre alles umsonst gewesen.

Erstes Buch
    Adams Rippe
    Augsburg und Venedig, 1560–1561
     
    »… warhaffter bericht, wie ein jeßuiter in teufels gestalt, im wellichem er ein evangelisch mensch von irem glauben abzuschröcken vermaint, erstochen worden …«

1. Der Liebesapfel
     
    Obwohl die Augsburger an Spektakel aller Art gewöhnt waren, zwischen Gaukeleien und Hinrichtungen ihre Sinne erfrischten, erzählten sie das Ereignis vom Vorabend der Michaelidult noch Tage weiter. Der Vorfall hatte kaum die Hörmuscheln gekitzelt, da wurde er, gespickt und gewürzt mit Einzelheiten, die nur ein Augenzeuge wissen konnte, weitergereicht.
    »Der Leibhaftige ist aus dem Pflaster gefahren!«
    Der Auslöser für das Höllengezeter war längst an den Huckergeschäften entlang, unter den Zeltstangen hindurch, zwischen den Säcken der Gewürzhändler, die Pfeffer, Zimt und Galgant feilboten, verschwunden. Kellenbenz hastete mit seiner Tochter auf den Schultern an Karren und Tragkörben vorbei, wich einem gähnenden Windhund aus, der auf einem Wagen stand und Bianka mit seinem weit aufgerissenen Maul fast verschluckte.
    In einer engen Seitengasse hielt er inne, setzte das Kind ab und lehnte sich an eine Hauswand. Es stach ihm in Brust und Rücken, seine Beine zitterten. Er sah zurück. Hoffentlich war ihm niemand gefolgt. Als Leute vorbeidrängten, zog er Bianka zu sich heran. An diesem warmen goldenen Herbsttag schlenderten die Augsburger zum Perlachplatz neben dem Rathaus, von wo er gerade weggelaufen war.
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