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Im Hauch des Abendwindes

Im Hauch des Abendwindes

Titel: Im Hauch des Abendwindes
Autoren: Elizabeth Haran
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kleines Kind warst, aber wir hofften, dass wir eines Tages wieder zusammen sein könnten.«
    »Und was hat euch daran gehindert?«
    »Nicht was . Wer .« Emily warf ihrer Tochter einen nervösen Blick zu. Die ganze Sache war ihr sichtlich peinlich. »Joe war verheiratet«, gestand sie.
    Ruby starrte ihre Mutter entgeistert an. »Was?« Emily hatte sich mit einem verheirateten Mann eingelassen? Ruby glaubte plötzlich, eine völlig Fremde vor sich zu haben.
    »Ich weiß, ich hätte dir das alles schon viel früher erzählen sollen. Aber ich hatte Angst, du würdest es nicht verstehen und mich verurteilen. Ich hatte mir wirklich vorgenommen, mich mit deinem Vater in Verbindung zu setzen, jetzt, da du doch bald heiraten wirst, damit ihr beide euch endlich kennenlernt; aber dann habe ich diese Anzeige gelesen. Er ist während einer Geschäftsreise in den USA gestorben. Heute steht drin, dass seine Frau den Leichnam in Übersee einäschern und die Urne hierher überführen ließ. Heute Morgen wurde er im Familienkreis beigesetzt.«
    Emily tupfte sich die Tränen ab. Sie hätte sich gern von dem Mann verabschiedet, dem über fünfundzwanzig Jahre lang ihr Herz gehört hatte. Es traf sie schwer, dass ihr das nicht vergönnt gewesen war. Aber sie vermutete, dass seine Frau genau das beabsichtigt hatte. Zuzutrauen war es ihr, das wusste Emily.
    Ruby war wie betäubt. Sie hatte sich oft gefragt, warum ihre Mutter nicht wieder geheiratet hatte. Jetzt wusste sie es. Sie hatte nie aufgehört, den Mann zu lieben, der Rubys Vater war. Sie trat ans Bett und griff nach der Zeitung. Emily zeigte auf den entsprechenden Artikel. Der Name Joe Jansen sprang Ruby ins Auge. Er kam ihr irgendwie bekannt vor. Sie betrachtete das abgebildete Foto genauer, um zu sehen, ob sie irgendeine Ähnlichkeit entdeckte. Ruby fand, ihre Augen sahen seinen ähnlich und vielleicht auch ihre Nase, aber andererseits sah sie vielleicht Dinge, die gar nicht da waren.
    »Du kennst den Namen sicherlich von den vielen Baustellen in der ganzen Stadt«, sagte Emily.
    Ruby nickte. Genau, das war es, deshalb kam ihr der Name so bekannt vor.
    »Dein Vater war ein reicher Mann.«
    »Was spielt das für eine Rolle, wenn er bei seiner Frau geblieben ist, weil sie ihm wichtiger war«, bemerkte Ruby bitter.
    »So einfach ist das nicht, Ruby«, erwiderte Emily sanft. Sie konnte die Gefühle ihrer Tochter verstehen, aber sie wollte, dass Ruby auch sie verstand.
    Das Pfeifen des Teekessels hatte sich zu einem ohrenbetäubenden Schrillen gesteigert. Ruby ging in die Küche, brühte Tee auf und gab in beide Tassen einen kräftigen Schuss Brandy. Emily war ihr gefolgt, und eine Weile saßen sie gedankenverloren am Tisch und nippten an dem heißen Getränk.
    »Joe und ich haben uns kennengelernt, als ich im Grosvenor Hotel in Adelaide arbeitete«, sagte Emily schließlich. »Das war seinerzeit das luxuriöseste Hotel in der ganzen Stadt. Ich war Empfangschefin, und Joe stieg immer im Grosvenor ab, wenn er geschäftlich in der Stadt zu tun hatte, was ziemlich oft der Fall war. Ganz allmählich, im Lauf von etwa anderthalb Jahren, entwickelte sich eine herzliche Freundschaft zwischen uns. Weder Joe noch mir war anfangs bewusst, dass wir im Begriff waren, uns ineinander zu verlieben. Aber es passierte nun einmal, und bald trafen wir uns auch privat. Ich wusste, dass er verheiratet war – wie ich selbst übrigens auch«, fügte sie nach einer kleinen Pause hinzu.
    Ruby war sprachlos. Als sie sich von ihrem Schock erholt hatte, fragte sie: »Warum hast du mir nie etwas davon gesagt?«
    »Weil diese Ehe der größte Fehler meines Lebens war«, antwortete Emily bedrückt. »Ich will gar nicht daran denken, geschweige denn darüber reden.« Ihre Miene verdüsterte sich. »Mein Mann war Italiener, wir wohnten in Melbourne, in einem Viertel, in dem während der Vierzigerjahre fast ausschließlich italienische Einwanderer lebten. Als wir heirateten, wusste ich nicht, dass er aus einer sehr einflussreichen Familie stammte, die Verbindungen zur Unterwelt hatte. Sie kam ursprünglich aus Kalabrien, wo wir unsere Flitterwochen verbrachten.«
    »Willst du damit sagen, sie gehörte der Mafia an?«, fragte Ruby ungläubig.
    Emily wiegte nachdenklich den Kopf und runzelte die Stirn. »Diesen Verdacht hatte ich jedenfalls, aber darüber wurde natürlich nicht offen gesprochen. Im ersten Jahr unserer Ehe waren wir recht glücklich, doch dann veränderte sich mein Mann auf einmal und machte mir das
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