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Im Funkloch

Im Funkloch

Titel: Im Funkloch
Autoren: Falko Löffler
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ist damals in der zehnten Klassenach Venedig gefahren«, sagte Kevin. » Venedig! Und wir werden im Wald ausgesetzt . . . wie irgendwelche Honks.«
    »Bist du doch gewohnt, oder?«, feixte ich.
    Kevin grummelte nur und starrte aus dem Fenster.
    Das hatte er wohl in den falschen Hals bekommen. »Hey, war nicht so gemeint«, sagte ich, aber Kevin reagierte nicht. Zum Glück wusste ich, womit ich ihn aufheitern konnte. »Noch 'ne Runde zocken?«, fragte ich beiläufig und sofort wandte sich Kevin mir grinsend zu. Jeder Groll war bei dieser Aussicht vergessen. Wie immer.
    Ich fischte mein Handy aus der Hosentasche und gab es ihm. Mit flinken Fingern navigierte Kevin im Menü zu dem Fußballspiel, das ich total ätzend fand – die Steuerung war völlig daneben –, aber Kevin liebte es. Es dauerte nur wenige Sekunden, dann klirrte der erste Torjubel aus dem Lautsprecher.
    Kevin hatte kein Handy. Er war der Einzige in unserer Klasse und wahrscheinlich im ganzen Jahrgang, der keines besaß. Seine Familie lebte auf einem Einsiedlerhof am Rand des Taunus, ohne Telefon, Fernsehen oder Internet. Das hatte Kevin einen Spitznamen eingebracht, den er sicher in seiner Schulzeit nicht mehr loswerden würde: Offline . Ich war der Einzige, der ihn noch Kevin nannte.
    Dabei hatte Kevin es technisch wirklich drauf. Er verschlang alles, was er über Technik zu lesen fand – ob es Magazine, Sachbücher oder Gebrauchsanleitungen waren. Er hatte zwar nur in der Schule Zugriff auf Computer und Handys (was er vor seinen Eltern lieber runterspielte – sie reagierten darauf wie eine streng religiöse Sekte auf Sexualkunde), aber selbst das hatte gereicht, ihn zum Profi zu machen. Wenn man Probleme mit Windows oder seinem Handy hatte, fragte man als Erstes ihn.
    Kevin konnte den Tag kaum abwarten, an dem er den Realschulabschluss hatte, weil er ausziehen wollte. Das durften seine Eltern aber nicht erfahren, denn die erwarteten, dass er auf dem Hof blieb . . . nur ich war eingeweiht in seinen Plan. Natürlich hoffte Kevin, dass seine Eltern ihn verstehen würden, wenn es so weit war, aber von den paar Mal, die ich seine Eltern gesehen hatte, rechnete ich nicht damit.
    Der Bus erreichte Waldkappel. Das Landschulheim war irgendwo hier in der Nähe. Niemand machte sich die Mühe, diesen unlustigen Namen zu verkünden. Ich schaute von einer Seite zur anderen. Das Dorf war umringt von Hügeln, die alle mit Bäumen bewachsen waren. Der Bus durchquerte den Ort, passierte eine Tankstelle, eine Bäckerei und eine Kirche. Kurz vorm anderen Ende des Dorfes bog derBus nach rechts auf eine schmale Straße ein. Es ging bergauf – und zwar steil. Nach einem kurzen Stück wurde aus dem Teerbelag ein Feldweg, und der wand sich den Berg entlang. Die Gegend hieß zu Recht Hoher Meißner. Wir fuhren eine Ewigkeit durch den Wald, immer höher rauf. Waldkappel ließen wir hinter uns – der Weg führte auf die andere Seite des Hügels, und wohin ich auch blickte, sah ich nur noch Wald um mich herum.
    Der Regen hatte inzwischen nachgelassen und war nur noch ein Nieseln – dafür war es hier oben neblig. Ich setzte mich auf, um durch die Windschutzscheibe nach vorne sehen zu können. Ein weißes, dreistöckiges Gebäude tauchte im Nebel auf.
    Der Bus hielt vor dem Haus. Protestierend erstarb der Motor. Der Lautsprecher knackte. »Wir sind da«, verkündete Passi über das Mikrofon des Busfahrers. »Steigt bitte geordnet aus, holt eure Koffer und geht noch nicht rein, ja? Ich muss erst schauen, ob der Hausmeister schon da ist.«
    Das erinnerte mich an irgendetwas.

Fremd
    »Ich muss erst nachsehen, ob er schon da ist.«
    Die Sekretärin geht durch die Tür und schließt sie hinter sich. Ich kann nur einen kurzen Blick auf die Lehrerinnen und Lehrer werfen, die an einem Tisch sitzen, Kaffee trinken oder etwas in Hefte schreiben.
    Das ist wohl an jeder Schule gleich: Ein Lehrerzimmer ist für Schüler tabu. Wenn man doch mal reinmuss, wird man so böse angeguckt, dass man nur schnellstens wieder rauswill.
    Die Glastür nach draußen wird von einigen Schülern – vielleicht Fünftklässlern – geöffnet. Dicke Schneeflocken und eiskalte Luft streichen über mich. Dann rennen die Schüler den Flur entlang und die Tür fällt zu. Ich trete von einem Fuß auf den anderen, schaue auf den Pausenhof der Schule hinaus, in der ich nach den Weihnachtsferien der Neue sein werde. Sie ist größer als meine alte Schule und sie kommt mir viel lauter vor. Und dreckiger.
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