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Im eigenen Schatten

Im eigenen Schatten

Titel: Im eigenen Schatten
Autoren: Veit Heinichen
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Voller Genugtuung bremste er erst ab und gab dann mit einem Ruck den Weg für den ramponierten Pkw frei, der von nachfolgenden Autos vor einen roten Lkw auf die rechte Spur geschleudert wurde. Der Verkehr auf der A4 in Richtung Triest stand schlagartig still, der Unfallort wurde im Rückspiegel immer kleiner. Kein Fahrzeug folgte ihm. Ohne anzuhalten passierte Renzo die Mautstelle nach der nächsten Abfahrt auf der Fahrspur mit der elektronischen Gebührenabbuchung. Einen Kilometer später hielt er in einer Parkbucht und stieg mit einem Sturzhelm auf dem Kopf auf der Beifahrerseite aus. Mit der Ducati, die er im Morgengrauen gestohlen und dort abgestellt hatte, brauste er zurück zur Autobahn. Planmäßig detonierte der Sprengsatz im Fahrerhaus, als er auf der Auffahrt war.
    Auch in Richtung Venedig war der Verkehr zum Erliegen gekommen. Gemächlich fuhr Renzo auf der Standspur am Stau vorbei. Auf Höhe der Unfallstelle stoppte er, um sein Werk zu begutachten. Eine Massenkarambolage. Ein Massaker. Er hörte Schreie und sah Menschen, die betroffen neben ihren Fahrzeugen standen, während Männer mit Brecheisen sich hektisch abmühten, die Türen des weißen Schrotthaufens zu öffnen und die Insassen zu befreien. Aus der Ferne näherte sich Sirenenlärm. Renzo legte den Gang ein und drehte das Gas auf. Eine halbe Stunde später stellte er das Motorrad vor dem Bahnhof Venezia-Mestre ab. Im Treppenhaus des nahen Parkhauses entledigte er sich der Motorradkluft und verließ es in Jackett und Bügelfaltenhosen wieder. Das Timing war perfekt. Keine zehn Minuten wartete er auf dem Bahnsteig, bis der Schnellzug nach Rom einfuhr. Kaum hatte er seinen reservierten Platz eingenommen, tastete er zufrieden nach dem Geldbündel. Fünfzigtausend waren ein verdammt guter Stundenlohn, und mit Eintreffen der zweiten Rate müsste er sich erst einmal keine Gedanken mehr um die Zukunft machen. Schnell verdiente Kohle mit wenig Risiko. Selbst wenn man ihn erwischte. Verkehrsdelikte kosteten selten mehr als eine deftige Geldstrafe und den Führerschein. In Bologna und Bari würde er umsteigen und schließlich nach insgesamt acht Stunden Bahnfahrt seine Heimatstadt Monopoli in Apulien erreicht haben. Der Sommer gehörte ihm.
     
    10 Uhr 23. Die telefonische Anordnung des Direktors, der als Landvermesser verkleidet mit Einstein die Regie führte, war knapp und klar. Aus dem Führerstand des gelben Raupenbaggers auf der Brücke hatte der Erzengel durchs Fernglas beobachtet, wie Renzo aus der Kolonne der Schwerlastwagen ausscherte und das Begleitfahrzeug ausschaltete. Zufrieden startete er den Bagger, hob die riesige Schaufel über das Geländer und kontrollierte am Fuß der Brücke noch einmal den Abstand zu dem Feldweg, auf dem ein weißer Sattelzug mit Laderampe stand, auf dessen Auflieger in großen roten Lettern »Teşekkür Ederim İtalya« stand. Den Schriftzug hatte der Erzengel selbst aufgeklebt. Dann wandte er sich um und verfolgte das Manöver des Schrottlasters, mit dem sich Jo abrupt vor den Werttransporter gedrängt hatte. Die Ladepritsche hob sich, und kurz vor der Brücke begannen die ersten Stücke der Ladung auf die Fahrbahn zu kullern. Der Mercedes-Lieferwagen holperte über den rostbesetzten Schrott, der sich wie eine Lawine auf die Fahrbahn schob. Ein Hieb mit der Baggerschaufel warf den Werttransporter um. Der Erzengel schwenkte den Hydraulikarm zu dem gepanzerten Seitenfenster, das er eindrückte wie Knäckebrot. Pek warf die Tränengasbombe in den Innenraum, Männer mit Gasmasken zogen zwei Sicherheitsleute heraus, fesselten und knebelten sie mit Isolierband, stießen sie zu einem Maisfeld hinüber und schlugen sie nieder. Der Erzengel lenkte die Baggerschaufel unter den Lieferwagen und stellte ihn wieder auf die Räder. Jim, ein Bosnier, kletterte auf den Fahrersitz und steuerte das ramponierte Gefährt, das der Erzengel mit dem Bagger in den Lkw bugsierte. Die schweren Stahlplatten, mit denen der Auflieger ausgekleidet war, setzten den Sender des Werttransporters außer Gefecht. Bevor sich die Luke schloss, stiegen vier Männer in den Laderaum.
    10 Uhr 48. Mit qualmenden Auspuffrohren setzte sich der Lkw mit dem türkischen Kennzeichen in Bewegung. Drei Minuten früher als von Einstein geplant. Gleich bei San Giorgio di Nogaro musste er auf dem Autobahnzubringer abbremsen. Streifenwagen überholten ihn mit Sirenengeheul, ein Krankenwagen folgte dichtauf. Gegen die Fahrtrichtung bogen sie auf die leere Fahrbahn ein.
    Der
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