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Im Café der verlorenen Jugend - Modiano, P: Im Café der verlorenen Jugend

Im Café der verlorenen Jugend - Modiano, P: Im Café der verlorenen Jugend

Titel: Im Café der verlorenen Jugend - Modiano, P: Im Café der verlorenen Jugend
Autoren: Patrick Modiano
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Wohnung da gegenüber lebten. Wir hatten vergessen, das Licht auszumachen. Und wir hatten den Schlüssel verloren. Der Hund von vorhin wartete bestimmt auf uns. Er war in unserem Zimmer eingeschlafen und würde immer weiter auf uns warten, bis ans Ende der Zeiten.
    Dann schlenderten wir gegen Norden, und um nicht allzusehr abzudriften, hatten wir uns ein Ziel gesetzt: die Place de la République, aber wir waren uns nicht ganz sicher, ob wir in die richtige Richtung gingen. Egal, wir konnten immer noch die Metro nehmen und in die Rue d’Argentine zurückfahren, wenn wir uns verliefen. Louki sagte, sie sei oft in diesem Viertel gewesen, während ihrer Kindheit. Der Freund ihrer Mutter, Guy Lavigne, hatte damals eine Autowerkstatt in der Nähe. Ja, unweit der Place de la République. Wir blieben vor jeder Autowerkstatt stehen, aber es war nie die richtige. Sie fand den Weg nicht wieder. Beim nächsten Mal, wenn sie diesen Guy Lavigne in Auteuil besuchen würde, wollte sie ihn nach der genauen Adresse seiner alten Autowerkstatt fragen, bevor auch dieser Mensch verschwand. Das mochte lächerlich wirken, es war aber wichtig. Denn sonst hat man irgendwann überhaupt keinen Bezugspunkt mehr im Leben. Sie erinnerte sich, dass ihre Mutter und Guy Lavigne sie mitnahmen, am Samstag nach Ostern, auf die Foire du Trône. Sie gingen zu Fuß, über einen endlosen, großen Boulevard, ganz ähnlich wie der, dem wir gerade folgten. Wahrscheinlich war es derselbe. Aber dann entfernten wir uns von der Place de la République. An jenen Samstagen marschierte sie mit ihrer Mutter und Guy Lavigne bis an den Saum des Bois de Vincennes.
    Es war fast Mitternacht, und wie seltsam, wenn wir beide plötzlich vor den Gitterstäben des Zoos stünden. Wir könnten die Elefanten im Halbdunkel sehen. Doch ein Stück weiter vor uns tat sich eine schimmernde Lichtung auf, in deren Mitte eine Statue emporragte. Die Place de la République. Je näher wir kamen, desto lauter hörten wir Musik. Ein Ball? Ich habe Louki gefragt, ob der 14. Juli sei. Sie wusste es genausowenig wie ich. Seit einiger Zeit verschmolzen für uns die Tage und Nächte. Die Musik drang aus einem Café, fast an der Ecke Boulevard / Rue du Grand Prieuré. Ein paar Gäste saßen auf der Terrasse.
    Es war zu spät, um die letzte Metro zu nehmen. Gleich nach dem Café ein Hotel, dessen Tür offenstand. Eine nackte Glühbirne erleuchtete eine steile Treppe mit schwarzen Holzstufen. Der Nachtportier hat nicht einmal nach unseren Namen gefragt. Er hat uns bloß eine Zimmernummer im ersten Stock genannt. »Von jetzt an könnten wir vielleicht hier wohnen«, habe ich zu Louki gesagt.
    Ein schmales Bett, aber es reichte für uns. Weder Vorhänge noch Läden am Fenster. Wir haben es halb offengelassen, wegen der Hitze. Unten verstummte die Musik, und wir hörten lautes Gelächter. Sie flüsterte mir ins Ohr:
    »Du hast recht. Wir sollten für immer hier bleiben.«
    Ich dachte, wir seien fern von Paris, in einem Hafen am Mittelmeer. Jeden Morgen um die gleiche Zeit liefen wir den Weg hinunter zum Strand. Ich habe mir die Adresse des Hotels gemerkt: Rue du Grand Prieuré Nr. 2. Hotel Hivernia. Während all der trostlosen Jahre, die folgten, wurde ich manchmal nach meiner Adresse oder Telefonnummer gefragt, und ich sagte: »Schreiben Sie mir einfach ins Hotel Hivernia, Rue du Grand Prieuré Nr. 2. Ich bekomme die Sachen nachgeschickt.« Ich müsste einmal all diese Briefe abholen, die schon so lange auf mich warten und ohne Antwort geblieben sind. Du hattest recht, wir hätten für immer dort bleiben sollen.

Ich habe Guy de Vere ein letztes Mal gesehen, viele Jahre später. In der leicht abschüssigen Straße, die hinunterführt zum Odéon, bleibt neben mir ein Auto stehen, und ich höre, wie jemand meinen alten Namen ruft. Ich erkenne die Stimme, noch bevor ich mich umdrehe. Er streckt den Kopf durch das heruntergekurbelte Fenster. Er lächelt. Er hat sich nicht verändert. Außer den Haaren, die etwas kürzer sind.
    Es war im Juli, abends um fünf. Es war heiß. Wir haben uns auf die Motorhaube des Wagens gesetzt und geredet. Ich habe mich nicht getraut, ihm zu sagen, dass wir nur ein paar Meter vom Condé entfernt waren und von der Tür, durch die Louki immer hereinkam, die Schattentür. Aber diese Tür gab es nicht mehr. Auf der Seite hier war jetzt ein Schaufenster, in dem Krokodilledertaschen lagen, Stiefel und sogar ein Sattel und Reitpeitschen. Au Prince de Condé. Lederwaren.
    »Na,
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