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Im Bann des roten Mondes

Im Bann des roten Mondes

Titel: Im Bann des roten Mondes
Autoren: Susan Hastings
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erstickte sie. Durch ihn schaffte sie es, in dieser feindlichen Umwelt zu überleben. Es gab ja immer wieder die Hoffnung, ihn auf die nächste archäologische Expedition begleiten zu können.
    Dass sie die Verlobung mit Philippe eingegangen war, hatte allerdings auch eine andere Ursache. Der Vater konnte einer jungen Frau eben doch nicht alles bieten. Philippe sah gut aus, war sportlich, intelligent, nicht unvermögend, weltoffen und eben ein Mann. Mit ihm hatte sie die Freuden der körperlichen Liebe kennen gelernt, die sie nun auch nicht mehr missen mochte. Und es wäre schon längst zur Hochzeit gekommen, wenn er nicht dieses Projekt in der Kolonie übertragen bekommen hätte.
    Philippe hatte ihr fest versprochen, sie nachkommen zu lassen. Désirée träumte sogar von einer orientalischen Hochzeit in Algier. All das Exotische reizte sie ungemein, und sie stellte sich vor, umweht von kostbaren Düften und hauchzarten Schleiern, mit Philippe in ein riesiges Bett unter einem Baldachin mit golddurchwirkter Seide zu sinken. Hinter einem Paravent spielten arabische Musikanten, und bildschöne, verschleierte Tänzerinnen stimmten sie auf die Nacht aller Nächte ein.
    Désirées Brust entrang sich ein sehnsuchtsvoller Seufzer, und ihre Augen suchten den Horizont ab, dort, wo der Hafen von Algier bald auftauchen müsste. Sie hatte Philippe eine Depesche zukommen lassen, dass er sie vom Schiff abholen solle. Sie würden einstweilen in einem Hotel wohnen, bis Désirée herausbekommen hätte, wohin ihr Vater gereist war.
    Was Désirée nicht wusste, war, dass Philippe ihr eine Nachricht gesandt hatte mit der inständigen Bitte, nicht nach Algerien zu kommen. Da saß sie bereits im Zug nach Marseille.

II
    Sie lehnte sich in den harten Lederpolstern der offenen Droschke zurück. Der Geruch des Orients drang ungehindert zu ihr und füllte ihre Lunge. Sie liebte den Orient, dieses Flair aus Exotik, Geheimnis, Duft und fremdartigen Geräuschen. Der Kutscher fluchte laut und trieb das knochige Pferd an, sich einen Weg durch die hoffnungslos verstopfte Straße zu bahnen. Dampfautobusse hupten, erschreckten die kleinwüchsigen Pferde und Maultiere. Eselkarren, beladen mit Früchten und Gemüse, säumten den Straßenrand, Händler boten lauthals ihre Waren an oder feilschten mit den Kunden um Preise. Die Bauern und meisten Einheimischen trugen lange, hemdartige Gewänder und Kappen auf dem Haupt. Aber es gab auch viele europäisch gekleidete Männer, während Frauen kaum im Straßenbild zu sehen waren. Sie gingen tief verschleiert in Gruppen oder begleitet von Männern ihrer Familie, als bestünde die Gefahr, dass sie entweder geraubt würden oder von selbst davonliefen.
    Doch Désirée kannte das Frauenbild des Islam. Sie konnte nur mitleidig lächeln. Sie konnte sich nicht vorstellen, selbst unter solchen Bedingungen leben zu können. Bei aller Exotik zog sie das freie europäische Leben vor. Und sie war sich sicher, dass sich durch die Kolonialisierung Algeriens dieses Bild bald wandeln würde. Der französische Lebensstil zog sich unübersehbar durch das Alltagsleben dieser Stadt. Und auch wenn noch die Männer in den Cafés saßen und ihre Wasserpfeife rauchten, dabei fast gleichmütig das Treiben auf der Straße betrachteten oder untereinander Neuigkeiten austauschten, so würde es doch nicht mehr lange dauern, bis die Annehmlichkeiten der europäischen Zivilisation auch zum Leben der Einheimischen gehören würden. Bildung für die Frauen war ebenso wichtig wie eine umfassende ärztliche Versorgung, die Durchsetzung hygienischer Normen ebenso wie eine straff organisierte Arbeitsmoral.
    Sie dachte an Philippes Erzählungen von den Schwierigkeiten in den Bergwerken. Oft waren die Arbeiter störrisch wie ihre Esel und Kamele, nahmen es weder mit den Arbeitszeiten noch mit der Disziplin so genau. Nur wenn es um die Gebete ging, unterbrachen sie ihre Arbeit pünktlich, selbst wenn ein neu aufgefahrener Stollen einzubrechen drohte. Allah würde sie schon beschützen, bis sie gebetet hatten. Danach könne man den Stollen doch sichern. Kein Wunder, dass dieses allzu starke Vertrauen in Allah zu mehreren folgenschweren Bergwerksunglücken geführt hatte.
    »Hotel Oasis, Mademoiselle«, riss sie die kehlige Stimme des Kutschers aus den Gedanken. Sie blickte auf. Vor sich sah sie die hohe Fassade eines imposanten Kolonialbaus. Fast fühlte sie sich wieder nach Paris zurückversetzt, würden die Fenster der Eingangshalle nicht die
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