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Im Bann des roten Mondes

Im Bann des roten Mondes

Titel: Im Bann des roten Mondes
Autoren: Susan Hastings
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ihr diesen Stempel aufgedrückt. Auch wenn sich immer wieder Widerstand der Einheimischen regte, der letzte große Aufstand 1871 war erfolgreich niedergeschlagen worden.
    Diese Mischung aus dem europäischen Lebensstil und der faszinierenden Exotik der Berber, dem kühlen Charme Frankreichs und dem heißen Atem der Wüste berauschte Désirée. Wie ein Amphitheater schmiegten sich die Häuser an die Hänge der Bucht, die das Mittelmeer einschloss. Die weitläufigen Parks, Paläste, Villen, öffentlichen Gebäude hatten unverkennbar französisches Gepräge. Dazwischen ragten wie mahnende Finger die schlanken Minarette der Moscheen in den Himmel. Vom Hafen her erklang der geschäftige Lärm von den vielen Schiffen, die ihre Fracht ausspien und mit neuer beladen wurden. Wie in einem Ameisenhaufen wimmelte es von Menschen: Hafenarbeiter, Tagelöhner, Händler, Seeleute. So vielfältig wie ihr Äußeres waren auch ihre Sprachen. Désirée wurde für einen Augenblick an das biblische Babel erinnert. Im Stillen lächelte sie, weil ihr zum wiederholten Male bewusst wurde, dass sie stets mit ihren Gedanken in der Vergangenheit weilte. Was wusste sie eigentlich von den Menschen, die jetzt lebten?
    Ein breiter Boulevard, beidseitig von hohen, schlanken Palmen gesäumt, führte zu mehreren repräsentativen Gebäuden. Eines war der Palast des Gouverneurs, ein anderes das Regierungsgebäude. Aber diese waren nicht Ziel von Désirées Suche. Vor einem großen Bau blieb sie stehen. Zwei Pylonen flankierten das imposante Portal. Darauf waren die Umrisse von Löwen eingeritzt. Berberlöwen. Es war nicht das Zoologische Institut, sondern das Museum des Altertums von Algier. Wenn Désirée einen konkreten Hinweis auf den Verbleib ihres Vaters zu finden hoffte, dann hier.
    Entschlossen stieg sie die Steinstufen hinauf und öffnete die schwere, mit Metall beschlagene Tür. Sie kannte den etwas morbiden Geruch von Museen. Wahrscheinlich rochen alle Museen der Welt so. Auf jeden Fall die in Paris. Auch hier war es nicht anders, aber sie fühlte sich im gleichen Augenblick sicher.
    Fast instinktiv fand sie das Büro des Direktors. Ausgestattet mit schweren Teppichen, die Désirées Schritte verschluckten, fand sie sich in einem luxuriösen Ambiente wieder. Übereifrig kam ihr der Direktor Charles de Latour entgegen.
    »Ich bin entzückt, Mademoiselle Montespan«, rief er und küsste mehrfach ihre Hand. Ein wenig irritiert zog Désirée sie zurück.
    »Es freut mich ebenfalls, Monsieur le Directeur.«
    Latour wies einladend auf einen reich verzierten Lederstuhl, der eine wertvolle Kunstarbeit der Berber darstellte.
    »Wie gefällt Ihnen unser Algier? Haben Sie schon etwas besichtigen können? Haben Sie die Seereise gut überstanden? Ach, ich fühle mich geehrt, dass eine so berühmte Frau ... ähäm ... die berühmte Tochter eines so berühmten Mannes ...«
    »Womit wir gleich beim Thema wären«, erwiderte Désirée, der derartige Vorstellungen unangenehm waren. Sie benötigte keine Schmeicheleien. Sie erwartete, zuvorkommend, aber gleichberechtigt behandelt zu werden. Dieser glotzäugige, übergewichtige Direktor wirkte ölig wie verschwitzt glänzende Haut. Sie blieb mitten im Raum stehen. »Ich nehme an, dass Sie wissen, wo sich mein Vater zurzeit aufhält.«
    Das Gesicht des Direktors wechselte fast schlagartig von übertriebener Freundlichkeit zu theatralischer Tragik. Er rang die Hände und hob sie dann zum Himmel. »Weiß Gott, ich habe ihn gewarnt. Er hätte so vieles hier unter diesem Dach erforschen können. Unser Fundus hätte ihm all das geboten, was sein Herz begehrt. Aber nein, er musste unbedingt diese Expedition ausrüsten, wollte an den Ort, von dem noch keine menschliche Seele je zurückgekehrt ist.«
    »Sie wissen also, wo er sich aufhält?«
    »Ich weiß es nicht, bei Gott, ich weiß es nicht. Und ich glaube auch nicht, dass er diesen Ort überhaupt erreicht hat. Die Tuareg nennen ihn den Ort, wo die Geister wohnen. Selbst sie fürchten ihn.«
    Désirée nahm nun doch Platz, denn ihr Interesse war geweckt. »Die Tuareg?«
    »Ja, diese unseligen Wüstensöhne. Sie sind schnell wie der Wind, grausam und gottlos. Sie halten sich Sklaven, überfallen Karawanen, und wehe dem, der in ihre Hände fällt. Sie tragen Schwerter und Dolche, mit denen sie trefflich umgehen können. Ihre Schmiede sind Hexenmeister, kommen direkt aus der Hölle.«
    Désirée hörte ihm mit wachsender Verwunderung zu. Dann schüttelte sie mit einem
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