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Im Alphabet der Häuser: Roman einer Stadt (German Edition)

Im Alphabet der Häuser: Roman einer Stadt (German Edition)

Titel: Im Alphabet der Häuser: Roman einer Stadt (German Edition)
Autoren: Christoph W. Bauer
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viele Einflüsse bei der Entstehung einer Stadt bestimmend werden.
    Er zeigte wieder Richtung Rollsteinmauer:
    Auch dieses Gemäuer dort zeugt von einer Gemeinsamkeit europäischer Städte. Was Ludwig der Brandenburger als Genehmigung verlautbart, ist als Aufforderung zu verstehen, sich endlich dem Problem der Feuersbrünste zu stellen, die Herrscher anderer Städte bringen ihren Untertanen auf ähnlich gnädige Art und Weise die Steinbaumethode näher. Und da wir gerade bei Untertanen sind: Herrmannus Swapus, Conradus Stercingarius, Gwido de Florencia, Chunrad der Münchner und Hans der Frankch, auch sie sind Innsbrucker und prägen das Leben der mittelalterlichen Stadt. Dass dieses Leben überall einen ähnlichen Weg nimmt, dafür sorgt eine der großen Belastungen des Mittelalters: die hohe Kindersterblichkeit. Durch zahlreiche Zuwanderer entscheidend vergrößert, gelangen die Städte zur Hochblüte.
    Das mag im Mittelalter so gewesen sein.
    Dann hör dir an, was das Haus, in dem wir uns befinden, erzählt! Der Urgroßvater des jetzigen Barbesitzers stammt aus dem Salzburger Pinzgau, verdingt sich einige Jahre in Venedig und Genua im Gastgewerbe, arbeitet als Weinkellermeister in Südtirol, ehe es ihn nach Innsbruck verschlägt. Sein Sohn kommt in Görz zur Welt, Gorizia heißt die Stadt im Nordosten Italiens –
    Schon möglich, dass verschiedene Einflüsse geltend werden, dennoch kannst du nicht von einer Stadt auf andere schließen.
    Kann ich nicht? Bedeuteten Epidemien für die Menschen hier etwas anderes als für die Bevölkerung von Barcelona, Bremen, Florenz oder Wien? Und was ist mit dem Klerus, waren hier etwa andere Bücher verboten? Aber der verstand sich ja nicht nur aufs Untersagen, ohne Kirche keine Kunst, auch wenn dir das nicht behagt.
    4
    „Es ist noch keine zwanzig Jahre her, daß man sich darauf versteht, Brillen zu fertigen, eine neue Kunst, wie es sie zuvor noch nie gegeben hat.“ Das predigt Giordano da Pisa im Jahr 1305 in der Florentiner Kirche Santa Maria Novella. Gut fünfzig Jahre später beschwert sich der Dichter des Canzoniere Francesco Petrarca in einem seiner Briefe, dass ihn das Alter zwinge, eine Brille zu tragen, diese Erfindung des Mittelalters läuft seiner Eitelkeit zuwider. Immerhin, die Brille wird zum Gegenstand der Kunst, vor allem die Malerei thematisiert sie im Lauf der Jahrhunderte oft. Du findest Darstellungen in der Bibliothèque Nationale in Paris, in den Staatlichen Museen Berlin, im Stiftsmuseum Klosterneuburg und in zahlreichen Pinakotheken Italiens. Im Museum Ferdinandeum in Innsbruck triffst du auf die älteste Brillendarstellung im deutschsprachigen Raum, ein Altarbild entstanden um 1370 in Schloss Tirol. Damit ist das Werk nur wenig jünger als die bisher älteste bekannte Darstellung einer Brille im Kloster San Nicolò in Treviso.
    Aber dieses Gewölbe, es erzählt nicht etwa auch von einem berühmten Künstler oder einer Brillendarstellung?
    Von einer Brillendarstellung nicht, aber einer der ehemaligen Besitzer des Hauses hat ein besonders von Touristen bestauntes Kunstwerk geschaffen, an dem auch du oft vorbeigehst.
    Na, da bin ich neugierig!
    Es handelt sich um die Stuckfassade des Helbling-Hauses in der Altstadt, der Stuckateur und Wirt Anton Gigl ist ihr Urheber. Wie oft wird er in dieses Gewölbe herabgestiegen sein, streifte sein Arm die Rollsteinmauer einmal? Komm schon, fass sie an!
    Ich streckte wirklich kurz die Hand aus, zog sie sofort wieder zurück.
    Warum weichst du den Häusern aus? Hast du etwa Angst?
    Wovor sollte ich Angst haben?
    Vielleicht weil dir ihre Mauern mitteilen, dass du nur ein Zitat bist aus einem Buch, das du nicht geschrieben hast, wie Heiner Müller sich ausdrückt?
    Werde bloß nicht pathetisch!
    Hast du dir schon einmal überlegt, wer vor dir in diesen Häusern starb?
    Noch bin ich ja ganz lebendig.
    Noch? Braucht manchmal eben nur vier Buchstaben, und das Leben danach ist ein anderes, eine Randnotiz, nicht mehr als ein Protokoll, aus dem spätere Generationen herauslesen können, wie du gewesen bist. Mal angenommen, Häuser sind Bücher und Bücher Zeitmaschinen, fahren sie dich nicht in eine Zukunft ohne dich?
    Er zog nun eine Mappe aus seiner Tasche hervor, schlug sie auf:
    Konz Speiser, Besitzer eines Hauses im unteren Anbruggen, hinterlässt im Jahr 1526 in der Stube einen Tisch, Stühle und Bänke; in der oberen Kammer sind je ein Spannbett und eine Truhe für die Kleider, kein Kasten. Als Zubehör der Spannbetten
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