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Illusionen

Illusionen

Titel: Illusionen
Autoren: Richard Bach
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jedesmal wohl, wenn man ein paar Stunden in der Fleet gesessen hat.
    »Ich hoffe, Sie haben nichts gegen ein Brot mit Schinken und Käse«, sagte er. »Schinken und Käse und vielleicht eine Ameise.« Kein Händeschütteln, keine irgendwie geartete Vorstellung.
    Er war kein großer Mann. Haare bis auf die Schultern, schwärzer als der Reifen, gegen den er sich stützte. Augen dunkel wie die eines Falken, von der Art, wie ich sie bei einem Freund gern sehe und wie sie mir bei jedem anderen Menschen ein ungutes Gefühl geben. Er hätte ein Karatetrainer sein können, unterwegs zu einer ruhigen Demonstration der Gewalt.
    Ich nahm das dargebotene belegte Brot und akzeptierte einen Thermosbecher voll Wasser. »Wer sind Sie eigentlich?« sagte ich. »Seit Jahren bin ich in diesem Geschäft, und niemals ist mir jemand aus derselben Branche mitten auf einer Wiese begegnet.«
    »Ich tauge zu nichts anderem«, entgegnete er gut gelaunt. »Ich war Automechaniker, habe Schweißtechnik gelernt, habe mich überall herumgetrieben, mit Planierraupen gearbeitet und so weiter - wenn ich irgendwo zu lange bleibe, gibt es Probleme. Deshalb habe ich mir das Flugzeug zusammengebastelt, und nun bin ich eben als >Barnstormer< im Geschäft.«
    »Was für Planierraupen?« Seit meiner Kindheit hatten mich diese Dieseltraktoren fasziniert.
    »D-Achter, D-Neuner. Vorübergehend, in Ohio.«
    »D-Neuner! Die sind ja riesig! Doppelte Untersetzung in den niedrigen Gängen! Können die tatsächlich einen Berg versetzen?«
    »Es gibt bessere Wege, um Berge zu versetzen«, antwortete er, und ein winziges Lächeln huschte über sein Gesicht.
    Ich lehnte mich gegen die untere Tragfläche seiner Maschine und sah ihn mir genau an. Das Licht... es täuschte wohl, denn es war schwer, dem Mann direkt in die Augen zu sehen, als ob ein Strahlenkranz um seinen Kopf war, der den Hintergrund in einem neblig-silbrigen Schimmer verschwinden ließ.
    »Stimmt was nicht?« fragte er.
    »Was waren denn das für Probleme?«
    »Oh, nichts Besonderes. Ich bin eben gern auf der Walze, genau wie du.«
    Ich nahm mein Butterbrot und spazierte um seine Maschine herum. Es war ein Modell aus dem Jahr 1928 oder 1929, und nicht ein einziger Kratzer. Selbst Fabriken stellen keine Flugzeuge her, die so neu aussehen wie diese Maschine hier im Gras. Mindestens zwanzig Schichten erstklassige und mit der Hand eingeriebene Spannlackierung, eine spiegelglatte, straff über den Rippen liegende Farbschicht. Don prangte in altenglischen Blattgoldlettern unmittelbar unter dem Rand des Cockpits, und auf der Kartentasche stand D W. Shimoda. Die Fluginstrumente waren nagelneu, Originalinstrumente aus dem Jahr 1928. Steuerknüppel und Seitenruderachse aus gefirnißter Eiche, Gashebel, Gemischregler, Zündverstellung links davon. Heutzutage hat man keine Zündverstellung mehr, auch nicht an den mit größter Liebe restaurierten Oldtimern. Nirgends ein Kratzer, kein Flicken auf der Bespannung, keine Ölspuren unterhalb der Haube. Kein einziger Strohhalm auf dem Boden des Cockpits, als wäre die Maschine überhaupt niemals geflogen, sondern hätte durch eine Zeitverwerfung über ein halbes Jahrhundert hinweg hier und jetzt Gestalt angenommen. Mir sträubten sich die Nackenhaare. »Seit wann machen Sie diese Rundflüge?« fragte ich über die Maschine hinweg.
    »Seit vier, fünf Wochen.«
    Er log. Nach fünf Wochen in den Wiesen, und wenn man noch so gut fliegt, ist es einfach unmöglich, die Maschine von Schmutz und Ölspuren freizuhalten, und auf dem Boden des Cockpits liegt ganz bestimmt Stroh. Aber dieses Flugzeug . .. kein Ölfilm auf der Windschutzscheibe, keine Spuren von fliegendem Heu an den Vorderkanten von Tragflächen und Höhenruder, keine auf den Propellerschaufeln zerquetschten Insekten. Unmöglich für ein Flugzeug, das durch einen Sommer in Illinois fliegt.
    Ich sah mir die Travel Air noch ein paar Minuten genauestens an. Dann ging ich zurück und setzte mich auf das Heu unter die Tragfläche, dem Piloten gegenüber. Ich hatte keine Furcht, er gefiel mir noch immer, aber irgend etwas stimmte hier nicht.
    »Warum erzählen Sie mir nicht die Wahrheit?«
    »Ich habe aber die Wahrheit gesagt, Richard«, erwiderte er. »Mein Name steht doch auch am Flugzeug dran.«
    »Man befördert nicht einen Monat lang Passagiere in einer Travel Air, ohne eine Spur von Öl und Staub auf die Maschine zu bekommen, mein Freund, einen Riß in die Bespannung und, zum Teufel noch einmal, Stroh auf den Boden
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