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Ihr Kriegt Mich Nicht!

Ihr Kriegt Mich Nicht!

Titel: Ihr Kriegt Mich Nicht!
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Er saß schweigend auf dem Vorsprung und starrte ins Leere. Sie fuchtelten mit den Händen vor seinem Gesicht herum und schrien ihm in die Ohren. Aber er zeigte keine Reaktion. Er war völlig weggetreten. War nicht mehr da. Sein Blick schien tausend Meilen weit weg zu sein.
    »Oskar hat die Schlange gesehen«, sagte Mik.
    »Was für eine bescheuerte Schlange denn?«, schrie Filip. »Hier gibt’s keine Schlange. Und auch kein Floß. Kein Essen, kein gar nichts. Das hier ist ja so idiotisch, dass …«
    Er begann zu weinen.
    »Wir gehen jetzt nach Hause«, sagte Pi. »Wir klettern da rauf und gehen nach Hause.«
    Sie sah Mik an, mit Augen, die auf seine Antwort warteten.
    Er nickte.
DER HERBST
     Die Polizei, das Militär und die Dorfbewohner hatten nach ihnen gesucht. Suchmannschaften und ein Hubschrauber hatten am Fluss entlang gesucht, aber niemand hatte für möglich gehalten, dass die Kinder innerhalb so kurzer Zeit mit einem schwerfälligen Floß so weit gekommen sein konnten. Alle hatten ganz einfach an den falschen Orten gesucht. Die Freude war groß, als sie zurückkamen. Schmutzig und hungrig, aber am Leben. Die Papageienfrau hatte sich schon längst auf den Rückweg gemacht. Mik würde den ganzen Herbst bleiben dürfen. Lena war auf die Barrikaden gegangen und hatte dafür gesorgt, dass er bei ihr wohnen durfte, bis die zukünftige Unterbringung geregelt war. Das war Glück. Bengt war durchs ganze Dorf gegangen und hatte Unterschriften gesammelt. »Die Einwohner von Selet für Miks zukünftiges Bleiberecht im Ort.« Alle hundertdreiundsechzig Einwohner hatten unterschrieben. Greise und Säuglinge hatten die Liste abgehakt. Bengt hatte auch Bertil aufgesucht, und Bertil hatte unterschrieben, ohne dass ein einziges Wort gewechselt werden musste.
    Bengt sagte, Mik, Pi, Oskar und Filip seien die Ersten, die eine Fahrt durch den großen Wasserfall überlebt hätten. Das verhalf ihnen zu einer gewissen Berühmtheit. Oskar konnte sich allerdings an nichts erinnern, und es dauerte eine Woche, bis er überhaupt wieder zu sprechen begann. Sie hatten ihn nach Umeå ins Krankenhaus gebracht, wo sein Kopf geröntgt worden war. Sie hatten aber nichts Besonderes gesehen.
    »Logisch, dass sie nichts gesehen haben«, sagte Filip. »In dem seiner Birne ist es leer.«
     
    Während das Laub gelb wurde, hielten Pi und Mik sich oft unten am Fluss auf, zum Angeln. Vor allem Mik wollte das. Er mochte strömendes Wasser, mochte das Rauschen und Brausen. Immerzu passierte etwas. Man konnte am Ufer sitzen und einfach bloß das Wasser anschauen. Pi zeigte ihm, wie man den Fluss lesen konnte, wie Wirbel und Blankstellen verrieten, wo sich Steine und Mulden befanden. Für ein geübtes Auge verriet der Fluss, wie der Grund aussah und wo die Fische standen. Mik wurde ein immer besserer Fischer.
    Sie nahmen ihre Beute aus und grillten sie am Ufer. Saßen abends am Lagerfeuer und redeten und träumten, während die Dämmerung fiel und die Sterne angingen. Nächstes Jahr würden sie ein neues Floß bauen, eins, das größer war und mehr aushielt. Eins, das es bis zum Meer schaffen würde. Sie aßen Fisch und fütterten das Feuer mit Holz. Die Funken stiegen in den Himmel. Sie würden nie mehr den Wasserfall hinunterfahren, das wussten beide. Das war etwas, was ein Mensch nur ein einziges Mal machte, und Bengt erklärte, es sei eigentlich gar nicht möglich. Sie hatten etwas Unmögliches getan, und das brauchte man bloß ein einziges Mal zu tun.
    Pi sah Mik überm Feuer an.
    »Darf ich was ausprobieren?«
    »Ja, was denn?«
    Sie kam auf seine Seite herüber und lehnte sich an seine Schulter. Er spürte ihren warmen Atem am Ohr. Pi saugte sich an seinem Ohrläppchen fest. Das kitzelte, und Mik musste lachen. Es fühlte sich … angenehm an. Sie ließ sein Ohr los und sagte: »Ich wusste es.«
    »Was hast du gewusst?«
    »Du bist nicht ohnmächtig geworden. Du hast ruhig und gleichmäßig weitergeatmet.«
    »Ja«, sagte Mik.
    Er spürte keinen Druck in der Brust, keinen Krampf. Nur seinen ruhigen, gleichmäßigen Herzschlag.
    »Du bist gewachsen«, stellte Pi fest. Sie lehnte sich zurück und maß ihn mit dem Blick. »Bald bist du so groß wie Filip. Wann ist das passiert?«
    »Weiß ich nicht. Ich hab nichts gemerkt.«
    Sie blieb neben ihm sitzen, den Kopf an seine Schulter gelehnt. Sie schauten ins Feuer. Der Wind zerrte an den Bäumen. Die Flammen flackerten, und gelbes Birkenlaub tanzte herab.
    »Jetzt ist Herbst«, sagte Pi. »Und der
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